Ein Fragment in Prosa, vielleicht eine Liebesgeschichte

⚠️ Content Warnung: Diese Geschichte enthält explizite Gewaltdarstellungen und psychologischen Horror. Nicht für empfindliche Leser*innen geeignet.

Sie stand an ihrem Küchentisch, einem soliden Erbstück von ihrer Großmutter, und weinte. Ihr liefen die Tränen über die Wangen, sie schluchzte, salzige Tropfen fielen auf die dunkle, gewachste Holzfläche. Schon dreimal hatte sie zu den vorsorglich bereitgelegten Taschentüchern greifen müssen.

Immer, wenn sie Zwiebeln schnitt, mußte sie weinen. Das war schon so gewesen, als sie, als Kind, ihrer Mutter in der Küche half. Sie weinte beim Zwiebelnschneiden, und auch nur dann, aber nicht die paar Tropfen, die jeder Mensch wegen des schneidenden Saftes vergießt, sondern richtig. Eigentlich genoß sie dieses Gefühl, diese Reinigung für Seele und Schleimhäute. Nach dem Zwiebelnschneiden fühlte sie sich erleichtert und entspannt.

Allerdings war diese Tätigkeit auch nicht ganz ungefährlich, führte sie doch die Operation an der Zwiebel mit einem sehr scharfen Messer nahezu blind aus, wegen des Tränenschleiers. Inzwischen hatte sie Routine, sie hätte sicher einen Wettbewerb im Zwiebeln-Blind-Schneiden gewinnen können, aber früher hatte sie sich fast immer geschnitten.

Sie schnitt nicht oft Zwiebeln. In ihrer Küche verwandte sie sie kaum. Aber zu einem richtigen Geschnetzelten gehörten nun mal Zwiebeln. Das hatte schon ihre Mutter, eine gelernte Köchin und Lehrerin an einer Haushaltsschule in Hamm/Westfalen, immer gesagt, und damit hatte sie – ausnahmsweise – recht.

Nun noch die Schnitte gegen die Ringe, und die Zwiebel zerfiel in kleine Würfel. Ganz von selbst. Jetzt war alles bereit: Die Möhren und die Pilze, beides frisch, warten, ebenfalls bereits geschnitten auf einem großen Teller. Sie fügte die Zwiebeln hinzu. Der Reis köchelte bereits auf dem Herd, selbstverständlich ein Gasherd, darauf hatte sie beim Aussuchen ihrer Wohnung ganz besonders geachtet. Auch die große schwarze Pfanne stand schon bereit.

Fehlte noch das Fleisch. Das große Stück lag schon auf der Holzplatte mit der Blutrille bereit. Sie nahm ein scharfes schweres Messer. Nachdem sie Fett und anderes weggeschnitten hatte, schnitt sie das Fleisch in kleine Stücke.

Eigentlich aß sie kein Fleisch, eine Tatsache, die ihren Vater, einen Metzgermeister in Hamm/Westfalen, bei jedem Besuch zur Weißglut trieb. Anstatt eine Lehre zu machen und den Familienbetrieb zu übernehmen, hatte sie Kunst studiert und arbeitete jetzt als Werbegrafikerin – gut, das konnte er noch akzeptieren. Aber ihre Eßgewohnheiten wertete er als persönlichen Affront. So kam es, daß sie ihre Eltern nur noch zum nachmittäglichen Kaffee besuchen konnte. Was sie sehr selten tat.

Dieses Fleisch, das sie jetzt in heißem Olivenöl anbriet, war etwas Besonderes. Der kräftige Geruch des puren Muskelfleisches stieg zu ihr auf, während sie es unter ständigem Wenden anbriet. Dann fügte sie das Gemüse und die Zwiebeln hinzu. Den Font wertete sie mit etwas Sahne und etwas Weißwein auf – von dem Wein goß sie sich ein Glas ein. Zu einem guten Essen gehört ein guter Wein.

Dann war das Geschnetzelte fertig. Sie goß den Reis ab, bildete auf einem Teller einen Reisring, und gab das Geschnetzelte darüber. Das Ganze garnierte sie mit ein paar frischen Kräutern von dem kleinen Beet auf ihrer Küchenfensterbank. Zuletzt nahm sie den Teller, ihr Glas und eine Gabel und ging zurück ins Schlafzimmer.

Ihr Geliebter lag nackt auf dem Bett, so wie sie ihn verlassen hatte. Die sanfte Sonne des Dezembernachmittags schien durch das Fenster und ließ seinen Körper gegen das weinrote Seidenbettlaken leuchten. Modigliani. Wenn ihr Geliebter eine Frau gewesen wäre. Vielleicht würde sie ihn später so malen. Aus der Erinnerung. Wenn er fort war. Sie konnte nur malen, wenn sie alleine war. Schon die Anwesenheit ihres Professors an der Kunsthochschule war für sie unerträglich gewesen. Deswegen ging sie auch nur spät in ihr Atelier, arbeitete oft die Nacht hindurch, um die fertigen Entwürfe am frühen Morgen bei der so eben eingetroffenen Empfangsdame der Agentur, für die sie arbeitete, abzugeben. Dann ging sie frühstücken, in ihr Stammcafé.

Dort hatte sie ihren Geliebten kennengelernt. Er hatte sich zu ihr an den Tisch gesetzt, so waren sie ins Gespräch gekommen. Er hatte sie angesprochen. Er hatte sie gefragt, ob sie eigentlich wüßte, daß ihr Portrait im Museum hinge. Sie hatte nur gelacht. Und so hatten sie sich kennengelernt. Und sie hatte nach zehn Minuten gewußt, daß er es war. Das war vor vierzehn Tagen gewesen.

Heute hatte sie frei. Deswegen konnte sie sich leisten, nur mit ihrem Nachthemd bekleidet, weiß mit leichtem Blumenmuster, auf dem Bett zu sitzen, zu essen und ihren Geliebten zu betrachten. Hin und wieder nahm sie einen Schluck Wein. Das kräftige Muskelfleisch war etwas zäh, aber sehr schmackhaft. Das Geschnetzelte war sehr gut gelungen.

Ihr Geliebter lag, wie sie ihn verlassen hatte, als sie in die Küche gegangen war. Seine Augen waren geschlossen, sein blondes, kurzes Haar verwuschelt. Sie wußte, daß sein Haar lecker roch. Wie sein ganzer Körper. Schade, daß sie die Bettwäsche wechseln mußte. Sie hätte gerne noch ein paar Nächte in seinem Geruch geschlafen.

Der Arm, in dem sie geschlafen hatte, lag noch ausgestreckt auf ihrer Seite des Bettes. Beinahe hätte sie Lust bekommen, sich wieder dazuzulegen. Aber sie blieb auf der Bettkante sitzen, langsam und bedächtig essend, weiter ihren Geliebten betrachtend.

Die dünne Linie auf der Brust ihres Geliebten war kaum zu sehen. Sie lief quer durch seine Muskeln – er war sehr kräftig, sein Studium (Was war es doch gleich? Kulturwissenschaften? Kunstgeschichte?) hatte er auf dem Bau finanziert, seine Haut hatte noch immer die Farbe der Arbeit an frischer Luft, und auf seiner Brust gab es nur ein ganz kleines Wäldchen blonder Haare – vom unteren Rippenbogen bis zum Schlüsselbein.

Die neue, schnelle Stichsäge hatte gute Arbeit geleistet, die Anschaffung hatte sich gelohnt, auch der Satz dünner Sägeblätter für Metall, die sie immer wieder mit der Lötlampe erhitzt hatte, um Blutungen zu vermeiden, waren die richtige Wahl gewesen.

Als sie heute morgen aufgewacht war, hatte sie gewußt, daß sie es tun mußte. Sie hatte sich umgedreht, sie nochmals in seine Arme gekuschelt. Und dann einen kurzen Schlag mit der Handkante getan. Direkt hinter das Ohr. Die Blutzufuhr zum Gehirn wurde empfindlich gestört und der soeben Erwachende verlor das Bewußtsein. Den Rest besorgte der große braune Plüschteddy, der ihr Bett bewachte. Sein Bauch war mit Reis und Sand gefüllt, und mit diesem schweren Gemisch hatte sie ihrem Geliebten die Atemluft abgeschnitten. Er wehrte sie kaum, nur kurz bebte sein Körper, wurde steif, dann entspannte er sich. Es war erledigt.

Dann hatte sie die große Metallkiste geholt, in der sie ihr Werkzeug aufbewahrte. Der Brustkasten war schnell geöffnet, und mit raschen, geübten Schnitten hatte sie sein Herz herausgelöst, immer sorgfältig darauf achtend, ja nicht zu viel Blut zu verschütten, sondern alles in den Brustkasten fließen zu lassen.

Als das Herz, ein kräftiges Stück Muskelfleisch, auf seinem Teller lag, hatte sie die Wundränder wieder zusammengedrückt und mit dünnem, aber starken Faden – sie benutzte Angelschnur für diesen Zweck – mit kleinen Stichen zusammengenäht.

Jetzt sah ihr Geliebter fast aus wie immer, nur etwas blasser vielleicht. Er war wunderschön, wie er dort so hingegossen in der Sonne lag. Sie wußte, warum sie ihn liebte. Sie aß den letzten Bissen, kaute genüßlich und trank einen Schluck Wein hinterher. Jetzt war er in ihr. Er war Teil von ihr, wie sie ein Teil von ihm war.

Viel Zeit blieb ihr nicht mehr. Die Leichenstarre würde bald einsetzen, und vorher mußte sie ihn ins Bad geschafft und zerlegt haben. Das war einfacher, als es sich anhörte, kräftige Schnitte an den richtigen Stellen der Gelenkkapseln und der Körper fiel auseinander wie von selbst. Das hatte sie von ihrem Vater gelernt. Er hatte es ihr erklärt, als er einmal ein Rind selbst schlachtete und in Portionen aufteilte.

Sie trank die letzten Schlucke Wein. Dann stand sie auf, ging in ihr Badezimmer und legte alles zurecht: Die blauen, undurchsichtigen Müllsäcke, Bindfaden, mehrere scharfe Messer, eine Knochensäge für Feinarbeiten, die Lötlampe, um Gesicht und Fingerabdrücke unkenntlich zu machen.

Beim letzten Mal hatte sie zu lange gewartet und deshalb Stunden gebraucht. Bevor sie zufaßte, gönnte sie sich einen letzten Blick auf den entspannten, glücklichen Körper ihres Geliebten. Sie schloß die Augen und schmeckte die vergangene Nacht nach. Die Haut ihres Rückens kräuselte sich sanft. Die kalte Sonne draußen stand schon sehr tief, und ihr Licht floß in das Zimmer wie sämiger Honig.

Sie dachte an ein Gedicht von Rimbaud, während eine einsame, glückliche Träne von ihrem linken Auge über ihr Gesicht und ihren Hals rann. Immer tiefer, wie eine letzte Liebkosung mit der Fingerspitze vor dem Einschlafen:

Wenn es ein Wasser in Europa gibt,
nach dem ich mich sehne,
So ist es die schwarze und kalte Pfütze
An der traurig ein Kind
Im Atem der Dämmerung
Sein Schiffchen zart wie Maienfalter treiben läßt.

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