Damenopfer – Katharina Klein in den Schlagzeilen

Damenopfer

Katharina Klein in den Schlagzeilen

Eine Leseprobe

Frisch befördert,
den (vielleicht doch nicht so) völlig falschen Mann an ihrer Seite
und Büromöbel aus dem Theaterfundus:
Genau die richtige Zeit für Katharina Klein,
die hessische Landesregierung zu stürzen.

»Ich bin wirklich stolz darauf, die Sonderermittlungseinheit sowie das Institut für okkulte Pathologie und kryptoforensische Medizin offiziell eröffnen zu dürfen. Aus diesem Anlass möchte ich ihnen gleich den ersten Fall übergeben.«

Mit diesen Worten erschießt sich Jan-Ole Vogel, Justizminister des Landes Hessen und der Rockstar seiner Partei. In aller Öffentlichkeit. Vor den Kameras der versammelten Medien. Doch warum? Katharina Klein und Andreas Amendt ermitteln – und geraten selbst ins Kreuzfeuer von Politik und Medien. Denn sie kommen einem medizinischen Skandal auf die Spur – und einer Verschwörung, die bis in die höchsten Kreise der Regierung reicht …

Frankfurts chaotischste (und beste) Kriminalpolizistin ist zurück: Katharina Klein liebt Oldtimer, Schusswaffen – und noch immer den völlig falschen Mann. Auch als Kriminaldirektor und Leiterin einer neuen Sonderermittlungseinheit fallen ihr die Toten vor die Füße – manchmal im wahrsten Sinne des Wortes.

 

»Zehntausend unerkannte Morde!«

Das entrüstet-dräuende Tremolo der Moderatorin bringt die Lautsprechermembrane zum Erbeben. »Diese Schlagzeile schockierte Deutschland vor einigen Monaten. Schuld sind, darin sind sich die Experten einig, mangelhaft ausgebildete, schlampig arbeitende Ärzte, unerfahrene Ermittler und an den Rand der Arbeitsunfähigkeit zusammengesparte rechtsmedizinische Institute. – Willkommen bei ›Hessen live‹, dem Morgenmagazin auf Radio Hessen mit Mona …«

»… und Lisa!«, piepst eine jüngere Stimme unangemessen fröhlich. »Es ist jetzt sieben Uhr und sechs Minuten. – Der Volksmund sagt: Wenn auf dem Grab jedes Ermordeten eine Kerze brennen würde, wären unsere Friedhöfe nachts taghell erleuchtet. Ist das wirklich so? Und wie will das Land Hessen diesem Missstand begegnen?«

 »Über diese Fragen wollen wir mit unseren ersten Gästen heute Morgen sprechen«, übernimmt wieder die erste Moderatorin das Wort, ihr Tremolo so drohend, als wolle sie besagten Gästen Daumenschrauben anlegen. »Telefonisch zugeschaltet ist dazu die kriminalistische Leiterin der neu gegründeten Sonderermittlungseinheit Eins Frankfurt am Main, Kriminaldirektorin Katharina Klein. – Frau Klein, guten Morgen.«

»Guten Morgen.«

 »Und auf der anderen Leitung begrüße ich Doktor Andreas Amendt«, piepst die jüngere Moderatorin. »Chefarzt des Institutes für okkulte Pathologie und kryptoforensische Medizin.«

»Guten Morgen. – Wenn ich Sie gleich einmal korrigieren darf –«

»Herr Doktor Amendt, verzeihen Sie, dass ich Sie unterbreche«, aus dem Piepsen wird ein begeistertes Tschilpen, »Aber ›okkulte Pathologie‹: Das bedeutet doch nicht, dass Sie sich mit Teufelsaustreibungen befassen, oder?«

»Nur in Ausnahmefällen«, nimmt der Angesprochene souverän den Ball auf. »Okkult heißt verborgen, und eine Aufgabe des Institutes wird es sein –«

Die erste Moderatorin stoppt ihn robust: »Herr Doktor Amendt, zehntausend Morde: Ist diese Zahl überhaupt realistisch? Und wenn ja, wie werden Sie in Ihrem Institut in Zukunft dieses Thema adressieren?«

»Nun, wie ich gerade schon ausführen wollte …« Der Interviewte zögert, als erwarte er eine erneute Unterbrechung. »Diese Zahl ist natürlich viel zu hoch gegriffen. Wir sprechen von zehntausend Todesfällen, bei denen eine eigentlich indizierte Obduktion nicht vorgenommen wurde. Darunter finden sich schätzungsweise tausendzweihundert bis tausendfünfhundert Tötungsdelikte. Bei etwa zweitausenddreihundert erkannten vollendeten oder versuchten Tötungsdelikten im Jahr 2007 also eine Dunkelziffer von sechzig Prozent. Was sicher immer noch zu hoch ist.«

»Aber –«, beginnt das Moderatorentremolo, doch die jüngere Stimme ist schneller: »Und die restlichen neuntausend?«

»Bei diesen Fällen geht es vor allem darum, die eventuell unter etwas oberflächlichen Bedingungen festgestellte Todesursache zu verifizieren, also nicht nur Tötungsdelikte auszuschließen, sondern auch ansteckende Erkrankungen oder Vergiftungen, etwa durch Umwelteinflüsse.«

Mit Macht reißt das Tremolo das Wort wieder an sich: »Gerade im Rahmen der eingangs zitierten Schlagzeile las man ja immer wieder von Fällen, bei denen der Hausarzt auf Herzanfall erkannte und erst der Bestatter das Messer im Rücken des Toten entdeckte. Herr Doktor Amendt, gibt es solche Fälle wirklich? Und wenn ja: Wie wird Ihr Institut sie in Zukunft verhindern?«

»Ja, solche Fälle kommen vor, leider. Allerdings auch nicht allzu häufig, das ist die gute Nachricht. Die schlechte Nachricht ist, dass die Qualität der sogenannten äußeren Leichenschau, die bei jedem Verstorbenen vorgenommen wird, sehr stark schwankt. Das liegt zum einen an einer nicht immer gewissenhaften Ausführung: So wird zum Beispiel aus Rücksicht auf die Hinterbliebenen oder weil man es mit einer sogenannten Ekelleiche zu tun hat, die bereits stark verwest ist, auf das vollständige Entkleiden verzichtet. Aber ebenso problematisch ist die mangelnde Ausbildung von Ärzten. Fortbildungen in der Leichenschau werden sicher einen Schwerpunkt unserer Tätigkeit bilden.«

»Herzlichen Dank, Herr Doktor Amendt.« Die Enttäuschung des Tremolos über diese so souveräne wie nichtssagende Antwort ist deutlich zu hören. »Frau Klein! Die deutsche Kriminalpolizei rühmt sich einer Mordaufklärungsquote von über fünfundneunzig Prozent. Ist das angesichts der von Doktor Amendt erwähnten großen Dunkelziffer gerechtfertigt?«

Kurzes Zögern, dann: »Wir können nur ermitteln, wenn wir zumindest einen Anfangsverdacht haben. Jeden Todesfall unter die Lupe zu nehmen, dazu fehlen uns die Kapazitäten, und das wäre auch sicher nicht im Sinne der Bevölkerung.«

»Aber hat nicht gerade die Bevölkerung ein Recht –?«

»Dingdong«, fällt ihr die Interviewpartnerin sarkastisch ins Wort. »Guten Tag, wir sind von der Kriminalpolizei, haben Sie zufällig Ihren Großvater umgebracht?«

»Ich verstehe«, erwidert das Tremolo säuerlich.

»Frau Klein ist übrigens eine sehr verdiente Kriminalbeamtin mit einer Aufklärungsquote von hundert Prozent.« Die jüngere Moderatorin platzt fast vor Stolz ob ihres Fachwissens.

Dankbar, über eines ihrer Lieblingsthemen sprechen zu können, greift das Tremolo das Stichwort auf: »Mit dreiunddreißig ist Katharina Klein die jüngste Kriminaldirektorin in Hessen und zudem eine der wenigen Frauen im höheren Polizeidienst. – Frau Klein, wie beurteilen Sie die Situation von Frauen bei der Polizei? Wären Sie für die konsequente Durchsetzung einer Frauenquote? Und was werden Sie zur Förderung von Frauen in Ihrer Sonderermittlungseinheit tun?«

Kurzes Papiergeraschel, dann die abgelesene Antwort: »Wir werden natürlich auch in der Sonderermittlungseinheit die Richtlinien der hessischen Landesregierung zur Förderung und Gleichstellung der Frau umsetzen. Die bisherigen Ergebnisse zeigen ja, dass diese Maßnahmen greifen.«

»Mehr nicht?« Das Tremolo vergisst vor lauter Enttäuschung sogar das Betroffenheitsbeben.

»Natürlich bin ich für eine Quote«, kommt die knurrende Antwort. »Ich werde mich bemühen, zu einhundert Prozent qualifizierte Mitarbeiter einzustellen. Das Geschlecht sollte dabei zweitrangig sein.«

»Natürlich.« Im bittersüßen Tonfall des Tremolos kann man den Ball geradezu ins Aus rollen hören. »Aber da wir gerade davon sprechen: Sie sind als Halbjapanerin jemand, den das Innenministerium ein ›gelungenes Beispiel für die Integration von Menschen mit Migrationshintergrund‹ nennt –«

»Meine Mutter war Koreanerin«, wird sie schroff zurechtgewiesen, »und außerdem Professorin an der Frankfurter Universität. Ich bin in Frankfurt geboren und aufgewachsen. Ich glaube nicht, dass ich besonders integriert werden musste.«

»Natürlich. Verzeihung. Aber stimmen Sie nicht trotzdem der Politik von Innenminister Hanfried de la Buquet zu, der hinsichtlich der hohen Kriminalitätsrate von Menschen mit Migrationshintergrund gerade im Bereich Gewalt gegen Frauen mehr Beamte mit Migrationshintergrund einstellen will?«

»Das ist sicher eine sinnvolle Maßnahme. Allerdings ist meine Erfahrung auch, dass Gewalttäter aus allen Bevölkerungsschichten stammen. Alles andere ist Panikmache und billige Hetze.«

»Das ist schon fast ein schönes Schlusswort«, übernimmt die jüngere Moderatorin. »Jetzt fehlt nur noch der Hinweis, dass das ›Institut für okkulte Pathologie und kryptoforensische Medizin‹ sowie die Sonderermittlungseinheit heute mit einem Festakt eröffnet werden – und zwar um dreizehn Uhr in der Karl-Kreutzer-Villa am Schaumainkai 71. Danach sind die Räumlichkeiten im Rahmen eines Tags der offenen Tür für die Öffentlichkeit zugänglich. Außerdem wird es ein umfangreiches themenbezogenes Rahmenprogramm geben. – Herr Doktor Amendt, das bedeutet aber nicht, dass Sie nachher noch eine Leiche aufschneiden, oder?« In der Stimme der Moderatorin mischen sich Abscheu und morbide Neugier.

»Nein, natürlich nicht. Wir werden eher allgemeine Einblicke in unsere Arbeit geben. Und die Einheit von Frau Klein … – Aber das erzählt sie am besten selbst.«

»Was? – Ach ja, wir werden an einem kleinen Beispiel zeigen, wie die Kriminaltechnik einen Tatort absichert und untersucht, welche Fragen wir uns stellen und so weiter.«

»Gut, dann sehen wir uns heute um dreizehn Uhr am Schaumainkai 71«, verkündet die jüngere Moderatorin vergnügt. »Herzlichen Dank an unsere telefonischen Gäste: Kriminaldirektorin Katharina Klein und Doktor Andreas Amendt. – Und jetzt U2 mit ›Sunday, Bloody Sunday‹.«

 

Eröffnungszug

Sonntag, 6. April 2008

»No Chess Grandmaster is normal;
they only differ in the extent of their madness.«

Viktor Korchnoi

Mittagszeit. Strahlender Sonnenschein. Auf dem Gelände einer altehrwürdigen Mainufer-Villa.

Keine falsche Bewegung!

Keinen Schritt weiter!

»Das Gesamtbild im Blick, mit Fokus auf das Detail, das ist, wie ich auch Kriminaldirektorin Klein für ihre neue Aufgabe mitgeben möchte …«

Katharina blickte artig auf, als sie ihren Namen aus dem Mund des Polizeipräsidenten Karl Ernst Drechsel hörte.

Ein Fehler! Als hätte die wacklige Stufe aus unbehauenem Stein, auf der Katharina stand, nur auf diesen Moment der Unaufmerksamkeit gelauert, gab sie ein wenig nach und Katharina wäre fast gestürzt.

»… der Kern erfolgreicher kriminalistischer Arbeit. Es wäre mir nie gelungen …« Der Polizeipräsident hatte in seinem Redefluss nicht mal innegehalten. Gut. Er hatte Katharinas Malheur nicht bemerkt.

Sie spannte ihre Muskeln an und bewegte sich ganz langsam ein kleines Stück zur Seite. Etwas besser. Aber der Boden unter ihr schwankte noch immer.

Anderthalb Stunden schon.

In der prallen Sonne.

Balancierend am Rande des Abgrunds.

Und kein Ende in Sicht.

Reden. Grußworte. Danksagungen.

Nun also der Polizeipräsident mit seiner »Keynote«, wie das Programm großsprecherisch verkündete. Gespickt mit kriminalistischen Glückskeksweisheiten, wie zum Beispiel diese: »Wir dürfen niemals nachlassen, niemals aufgeben. Und unsere Ressourcen stets im Sinne der Sicherheit des Steuerzahlers einsetzen.«

Katharina bekam von der verdrehten Grammatik Kopfschmerzen. Doch viele ihrer Kollegen notierten Drechsels Weisheiten auf Zetteln, die sie über ihren Schreibtischen an die Wand pinnten – für den Fall, dass sich seine Hoheit doch einmal in ihre Büros verirrte.

Katharina hatte es auch ohne solche Mätzchen geschafft: Kriminaldirektorin mit gerade mal dreiunddreißig Jahren. Leiterin einer eigenen Einheit.

So stand es zumindest auf dem Papier. Die Realität sah anders aus: weggelobt. Auf Gedeih und Verderb mit dem Mann zusammengeschweißt, der neben ihr auf dem Treppenabsatz stand und den sie sich nicht einmal anzusehen traute.

Sie würde sich an Andreas Amendt festhalten müssen, wenn die Stufe endgültig nachgab. Ihn mit in den Abgrund reißen. Wie symbolträchtig!

Zwei Schweißperlen rannen langsam Katharinas Rücken hinab und hinterließen eine juckende Spur.

Warum war sie an diesem Morgen nur auf die blöde Idee gekommen, ausgerechnet ihren Nadelstreifen-Anzug anzuziehen? Und dazu noch Schuhe mit Absätzen? Sie würde sich auf der lockeren Stufe den Hals brechen. Aber sie durfte den Platz nicht wechseln: Die Fernsehteams und die diversen Protokollchefs der anwesenden Politiker hatten in zähen Verhandlungen alle Anwesenden malerisch auf der alten – und baufälligen – Treppe positioniert, die zum Portal der Karl-Kreutzer-Villa emporführte.

Katharina war die subtile Machtdemonstration nicht entgangen. Die Politiker und die Vertreter der Sponsoren saßen natürlich auf bequemen Stühlen, im kühlen Schatten, während Katharina und ihr Team stehen mussten, in der für die Jahreszeit viel zu heißen, stechenden Sonne.

In der Mitte das Rednerpult. Dahinter Polizeipräsident Drechsel, der in seiner gut gefüllten Uniform und mit seinem Schnauzbart aussah, als hätte Super-Mario den Verlust seiner Prinzessin mit viel zu viel Pasta gefeiert und anschließend den Beruf gewechselt. Er schwadronierte mittlerweile vom »Bahnhofsviertel-Ripper«. Seinem großen Fall. Damals in den Achtzigern, als er für ungefähr fünf Sekunden Leiter der Abteilung für Kapitalverbrechen gewesen war – nur eine Zwischenstation auf seinem Weg die Karriereleiter empor.

Endlich hatte Katharina einen halbwegs stabilen und bequemen Stand gefunden und senkte den Blick zu Boden. Als Schutz gegen die Sonne und die neugierigen Augen der Kameras. Doch …

Die Haare in ihrem Nacken wollten sich aufstellen. Ihr Rücken kribbelte. Nein, das waren keine weiteren Schweißperlen, die sie in den Wahnsinn treiben wollten. Das war ihr Jagdinstinkt. Warum schlug er ausgerechnet jetzt an?

Gut, es hatte sich auch Politprominenz zur Eröffnung der Sonderermittlungseinheit verirrt. Aber das Anschlagsrisiko sollte der Personenschutz des BKA doch im Griff haben, oder?

Prüfend ließ Katharina den Blick über das Publikum schweifen, das sich auf dem Platz vor der Villa versammelt hatte. Mehrere Fernsehteams mit Kameras. Journalisten, die ihr Diktafon in die Höhe reckten. Fotografen, ihre Kameras schussbereit.

Und jede Menge Frauen. Wie immer, wenn er irgendwo sprach: Jan-Ole Vogel. Minister des Landes Hessen für Justiz, Integration und Europa. Rockstar der liberalen Partei. Schwarm aller Frauen jenseits der fünfunddreißig. Und für heute der letzte Redner. Der Höhepunkt.

Stopp, was wollte sie noch? Ach ja! Risiko-Assessment in einer heterogenen Menschenansammlung! So zumindest war der Fachartikel im »Kriminalist« überschrieben, der jahrzehntelange Polizeierfahrung in die Sprache der PowerPoint-Generation übersetzt hatte. Der Autor des Artikels hatte es sich nicht nehmen lassen, zur Illustration seiner Gedanken ein »Wo ist Walter?«-Wimmelbild abzudrucken.

Also: Medienvertreter, viele Frauen, mal mit, mal ohne IKEA-einkaufsgestählten, beziehungsoptimierten Begleiter. So weit, so gut. Wo war das Element, das nicht ins Bild passte? Wo war Walter?

Weiter hinten hielt ein vereinzelter Demonstrant stolz ein Schild hoch: »Gegen Polzeistatt und Überwachsungswann!«

Rechtschreibung hielt er vermutlich auch für einen faschistoiden Auswuchs. Rechts und links von ihm standen bereits Männer mit kurzgeschorenen Haaren und dunklen Anzügen: Beamte aus der Politiker-Leibgarde. Sollte der Demonstrant Grund für Katharinas inneren Alarm gewesen sein, war also alles in bester Ordnung.

Sie warf noch einen letzten prüfenden Blick in die Runde, ließ ihn auch über die Bäume und die Mauerkrone zum Nachbargrundstück schweifen. Nichts Auffälliges. Ihr Jagdinstinkt musste sich getäuscht haben. Sie wollte sich wieder dem Geduldsspiel widmen, auf ihrer Wackelstufe eine etwas bequemere Stellung zu finden, doch ihr Nacken kribbelte noch immer. Stärker als zuvor.

Jemand beobachtete sie.

Nein. Nicht irgendjemand.

Jan-Ole Vogel!

Kein Wunder, dass man ihn den Richard Gere der hessischen Landespolitik nannte: hochgewachsen, schlank, schmale Hüften, breite Schultern – eine Schwimmerfigur, die er selbst leger auf seinen Stuhl gegossen nicht verbergen konnte. Die sorgsam manikürten Hände, die hin und wieder nachdenklich über das graumelierte, volle Haar strichen. Das markante Kinn. Die hohen Wangenknochen. Die geschwungenen Lippen. Der graue Maßanzug mit farblich abgestimmtem Hemd, Krawatte, Einstecktuch.

Und dann natürlich dieser Blick aus seinen eisgrauen Augen, den die Kameras ebenso liebten wie die Frauen im Publikum: klar, manchmal stechend, doch immer umflort von einem leichten Hauch von Tragik; vieles gesehen, vieles vergeben, doch nichts vergessen.

Vielleicht sollte ich mich geschmeichelt fühlen, dachte Katharina, dass er von allen anwesenden Frauen ausgerechnet mich ansieht. Aber das war kein Flirtblick. Das war der Blick des Schachgroßmeisters, bevor er den nächsten, den entscheidenden Zug machte.

Jan-Ole Vogel galt als brillanter Schachspieler. Seine ELO-Zahl bewegte sich angeblich in Meister-Nähe. Katharina hatte einmal gegen ihn gespielt. Auf einem dieser unsäglichen Charity-Events, die der Polizeipräsident in regelmäßigen Abständen aus dem Boden stampfen ließ.

Vogel war simultan gegen die zehn besten Schachspieler des Frankfurter Polizeipräsidiums angetreten. Michael Phelps gegen die zehn besten Schwimmer der Sahara. Katharina war stolz darauf gewesen, dass es ihr immerhin gelungen war, ein Remis herauszuspielen.

Hatte Vogel sie damals auch so gemustert – in der Endphase ihres Spiels? Und jetzt? Taxierte Vogel sie wirklich? Oder war das nur ihre berufsbedingte Paranoia? Vielleicht wusste Vogel ja einfach nur nicht mehr, wo er noch hinsehen sollte. Und zugegeben, sie war ein attraktiverer Anblick als der Polizeipräsident.

Nun denn, es gab eine ganz einfache Möglichkeit, herauszufinden, warum Vogel sie ansah. Sie richtete ihrerseits den Blick auf den Minister. »Spielst du auch Poker, Vogel? Ich habe gesehen, dass du mich ansiehst. Na, welches Blatt hast du, Vogel? Ich will sehen!«

Vogels Reaktion überraschte Katharina. Er nickte ihr freundlich zu.

»Sicherheit ist der Anspruch, den alle Bürgerinnen und Bürger haben, das Supergrundrecht, wenn Sie so wollen, gegenüber dem andere Rechte zurücktreten müssen, wenn es die Lage erfordert«, trompetete der Polizeipräsident in diesem Augenblick.

Zorn flammte in Vogels Augen auf. Als engagierter Liberaler war der Justizminister schon häufiger mit dem Polizeipräsidenten und seinem Lieblingsfeind, dem Innenminister, aneinandergeraten, wenn diese wieder einmal die bürgerlichen Freiheiten im Namen der Sicherheit mit Füßen traten.

Vogel fasste sich rasch wieder. Seine Mundwinkel hoben sich zu einem spöttischen Grinsen, er deutete mit einem kleinen Kopfnicken zu dem gedrungenen Mann am Rednerpult und verdrehte die Augen. Katharina hielt rasch die Luft an, um den Lachanfall zu unterdrücken. Der kleine Ruck reichte aus, um die wackelige Stufe unter ihr erneut zum Schwanken zu bringen. Nur mit Mühen gelang es Katharina, sich zu fangen.

Selbst der Polizeipräsident hatte die Unruhe bemerkt und warf ihr einen tadelnden Blick zu. Katharina hob rechtfertigend die Schultern und deutete auf die Stufe. Sie glaubte nicht, dass der Polizeipräsident verstand, doch er war offenbar zufrieden, sich Respekt verschafft zu haben, und fuhr in seiner Rede fort.

Vogel formte mit seinen Lippen lautlos ein »Entschuldigung!«. Dann senkte er wieder den Blick auf den kleinen Aluminiumkoffer auf seinem Schoß.

Vielleicht hat er in dem Koffer sein Pausenbrot, dachte Katharina sehnsüchtig. Sie hatte den ganzen Tag noch nichts gegessen.

Der Polizeipräsident war inzwischen beim Höhepunkt der Ermittlungen gegen den »Bahnhofsviertel-Ripper« angekommen. Bei dem Tatzeugen, den man nur durch »umfänglichste kriminalistische Arbeit« hatte aufspüren können und dessen Identität durch »energischste Bemühungen meiner Person« hatte geheim gehalten werden können. »Bis zum heutigen Tag!«, wiederholte Drechsel gleich mehrfach. »Bis. Zum. Heutigen. Tag!«

Dann die dramatische Festnahme, bei der er, Drechsel, »von meiner Schusswaffe habe Gebrauch machen müssen. Zum ersten und einzigen Mal in meinem Leben!«

Der Polizeipräsident schnaufte, als hätte er eben erst die noch rauchende Pistole zurück in das Holster gesteckt. Dann fuhr er fort: »Zusammenfassend möchte ich daher sagen …«

 

»Und das soll uns für die Zukunft Lehre und Leitsatz sein, auch und gerade in der Sonderermittlungseinheit, die wir heute eröffnen«, kam der Polizeipräsident nach weiteren endlosen Minuten zum Ende. »Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit!«

Katharina hätte um ein Haar vor Erleichterung laut aufgeseufzt.

Während der Polizeipräsident wieder umständlich auf seinem Stuhl Platz nahm, erhob sich Jan-Ole Vogel. Er trat gemessenen Schrittes an das kleine Rednerpult, legte seinen Aktenkoffer vor sich und ließ die Schlösser aufschnappen, öffnete ihn aber nicht.

Als er anhob zu sprechen – seine Stimme natürlich ein sonorer Bariton –, verstummte die Menge andächtig.

»Sehr geehrte Damen und Herren!« Die so angesprochenen Damen reckten sich gleich und betonten vorteilhaft ihre Figuren, während die Herren in ihrer Begleitung den Stich von Eifersucht weglächelten.

»Sehr geehrter Herr Innenminister!« Vogel würdigte den Angesprochenen keines Blickes. Er und Hanfried de la Buquet waren Todfeinde, durch eine Koalition dazu verdammt zusammenzuarbeiten. In ihrem aktuellen Streit hatte Vogel den Innenminister als »faschistoiden Undemokraten, dessen Amtseid auf die Verfassung den Straftatbestand des Meineids erfüllt« bezeichnet. De la Buquet hatte sich revanchiert, indem er Vogel als »idealistischen Träumer, der auch den revolutionärsten Sozi links überholt« beschimpft hatte. Der Landtagspräsident hatte die beiden daraufhin als »Hessens Pat und Patachon« tituliert, was wiederum das Führungsduo der Landtagsfraktion der Alternativen aufbrachte, die diesen Spitznamen bereits für sich beanspruchten.

Der Vergleich mit Pat und Patachon war nicht ganz von der Hand zu weisen. Vogel war so groß und schlank wie der Innenminister klein und – höflich ausgedrückt – untersetzt war. Wo Vogel Eleganz, Finesse und Charme versprühte, setzte der Innenminister auf Pomp und »das direkte Wort, das man in Hessen pflegt«, das außerhalb der Landesgrenzen jedoch gerne als Kriegserklärung aufgefasst wurde. Jetzt wühlte er missmutig mit den Fingern in seinem langen, buschigen Bart, der ihm den Spitznamen »Máximo Líder« eingetragen hatte.

»Werte Frau Oberbürgermeisterin!« Vogel schenkte Walpurga Grüngoldt einen seiner Blicke, der die robust gebaute Mittfünfzigerin beschämt zu Boden blicken ließ wie ein Schulmädchen.

»Sehr geehrter Herr Polizeipräsident!« Vogels Stimme bekam etwas Schneidendes. Karl Ernst Drechsel war nicht gerade ein Freund des Ministers.

»Lieber Herr Professor Schnitzer!«, begrüßte Vogel nun den Direktor der Universitätskliniken Frankfurt am Main, einen untersetzten, kleinen Mann mit pathologisch guter Laune.

»Sehr geehrter Doktor Burgholzer!«, fuhr Vogel in seiner Begrüßungsarie fort, und das mit einer Freundlichkeit, die so gar nicht zu der menschgewordenen Bulldogge passen wollte, an die sich dieser Gruß richtete. Burgholzer war der Generalstaatsanwalt Hessens. Vogel hatte ihn auf diesen Posten befördert.

»Und natürlich verehrte Vertreter der Sponsoren, die unsere neue Institution so großzügig mit Tat und Technologie unterstützen!«

Katharina hatte auf dem »Rundgang für Mitarbeiter, Entscheider, Sponsoren und ausgewählte Presse« alle ihre Hände geschüttelt.

Dem schlanken, hochgewachsenen, weißhaarigen Mann mit liebevoll kultiviertem Schnauzbart, der den großen Magnetresonanztomografen und die Röntgeneinheit von Siemens Medical so stolz präsentiert hatte wie ein Großwildjäger das eben erlegte Nashorn.

Dem knubbeligen Menschen, der eine fatale Ähnlichkeit mit Dr. Bunsenbrenner aus der Muppetshow hatte. Im Labortrakt der Sonderermittlungseinheit hatte er begeistert den »OMA 2015« enthüllt – ohne jedoch zu erläutern, wozu der große grünweiße Kasten dienen sollte.

Dem breitschultrigen Herrn von JCN Technologies: gemeißelte Gesichtszüge, eisgraue Haare, in seinem schwarzen Anzug so aussehend, als sei er in der gleichen Fabrik gefertigt worden wie die von seinem Unternehmen zur Verfügung gestellten Serverschränke im Rechenzentrum der Sonderermittlungseinheit. Leider hatte er einen schweren S-Fehler und mit Wörtern wie »Schupercomputerfähischkeiten« und »Poschteingangschverarbeitungschschtrasche« unvermutete Heiterkeit ausgelöst.

Neben ihm saß Morticia Addams. Zumindest hatte Katharina sie so getauft. Figurbetonter, schwarzer Businessanzug, schwarze Haare, kajalumflorte Augen, blutrot lackierte Fingernägel. Amelita Thalbein, die Seniorchefin der »Thalbein Thanato- und Pathologietechnik GmbH«, hatte auf dem Rundgang die von ihrer Firma ausgestatteten Autopsieräume im Souterrain präsentiert und schließlich aus einem der Leichenkühlfächer ein Huhn hervorgezaubert, dass dort ihren Worten zufolge bereits seit drei Wochen lag und »dank der präzisen und zuverlässigen Kühl- und Entkeimungstechnologie so verzehrfrisch war wie direkt nach der Schlachtung«.

Und zuletzt hatten sich auch Ulf und Monica Marbert eingefunden, Geschäftsführer von Marbert Communications, einer der angesehensten PR- und Political-Consulting-Firmen des Landes.

Er: Frettchengesicht, Teflonlächeln, Samtpfotenhändedruck.

Sie: Schraubstock und die Eiseskälte einer Scharfschützin.

Die beiden saßen auf zwei Stühlen hinter den anderen Sponsoren und wechselten sich damit ab, ein mokkabraunes Kind zu halten. Eigentlich hatten die Marberts ein genetisch optimiertes Wunderkind haben wollen, zur Welt gebracht von einer Leihmutter. Doch Katharina und Andreas Amendt hatten ihnen einen Strich durch die Rechnung gemacht. Also hatten sie adoptiert. Natürlich ein Kind aus einem afrikanischen Land. »Besser fürs Image«, hatte Ulf Marbert Katharina auf dem Rundgang erklärt.

Auch sonst schienen die Marberts beängstigend wenig nachtragend: Sie hatten der Sonderermittlungseinheit nicht nur eine gut sortierte rechtsmedizinische Bibliothek spendiert, sondern auch die anderen Sponsoren zusammengetrommelt. Doch mit welchem Hintergedanken?

Vogel räusperte sich, blickte kurz auf den in der Sonne silbrig glänzenden Aktenkoffer vor ihm, als läge dort ein Redemanuskript. Dann endlich sprach er weiter: »Wir haben heute schon viel gehört über Joint Ventures und Public Private Partnerships, über transparente Verwaltung und Prozessoptimierung, über neueste Ermittlungsmethoden und Paradigmenwechsel, über Bürgernähe und soziale Netzwerke, über Kommunikation, Kooperation, kommunikative Kooperation sowie über kooperative Kommunikation. Und ich glaube, wenn Sie noch einmal das Wort ›Synergieeffekt‹ hören, laufen Sie schreiend davon.«

Die Lacher im Publikum gaben Vogel recht.

»Doch worüber wir noch gar nicht gesprochen haben«, fuhr er fort, sein Ton deutlich ernster, »ist das, womit sich die neue Sonderermittlungseinheit und das Institut für okkulte Pathologie und kryptoforensische Medizin beschäftigen werden: mit dem Tod!«

Vogel nahm einen Schluck aus dem bereitstehenden Wasserglas, um den Satz einsinken zu lassen. Doch das Publikum hing längst an seinen Lippen.

»Ja, mit dem Tod. Der letzten Grenze. Dem ultimativen Feind. Wir haben ihn aus unserem Leben ausgesperrt. Wir ziehen hohe Mauern um unsere Friedhöfe, verbannen sie hinaus aufs Land. Aus den Augen, aus dem Sinn. Aber Tatsache ist und bleibt: Wir alle werden sterben. Der Tod gewinnt immer, das müssen wir machtlos anerkennen. – Viel zu viele Menschen sterben jedoch vor ihrer Zeit. Durch heil- oder vermeidbare Krankheiten, durch Unfälle. Und, ja, auch durch die Hand Dritter. Wissentlich oder unwissentlich.«

Vogel senkte erneut den Blick auf den Aktenkoffer, bevor er fortfuhr: »Die Sonderermittlungseinheit sowie das Institut für okkulte Pathologie und kryptoforensische Medizin, die wir heute eröffnen, werden diesen Menschen, die nicht mehr für sich selbst sprechen können, eine Stimme geben. – Und letztlich, das erhoffe ich mir zumindest, wird die Arbeit dieser Institution dazu beitragen, dass weniger Menschen zu früh – vor ihrer von Gott, von der Natur bestimmten Zeit – dem schwarzen Schwarm des Todes zum Opfer fallen.«

Schwarzer Schwarm des Todes? Das hatte Katharina an diesem Tag schon einmal gehört. Auf dem Rundgang. Richtig. Vogel selbst hatte Andreas Amendt danach gefragt. Ob er wisse, was der Begriff bedeute. Leider hatte Katharina die Antwort nicht mitbekommen, denn in diesem Augenblick hatte sich Walpurga Grüngoldt ihrer bemächtigt. Die Oberbürgermeisterin hatte sie in mythischer Heldenverehrung in ihr Herz geschlossen, seit Katharina ihrem Sohn das Leben gerettet hatte.

»Und nun möchte ich Ihnen gerne die Menschen vorstellen, die diese schwere Aufgabe für uns schultern«, fuhr der Justizminister fort. »Denn über sie haben wir heute noch gar nicht gesprochen. – Leider heute nicht anwesend sind der Geschäftsführer Doktor Manès Müller …«

Natürlich. Das hatte Katharina beinahe verdrängt. Ihr war ja ein Geschäftsführer vor die Nase gesetzt worden.

»… sowie Kriminaloberkommissar Arndt Betsinger …«

Katharina war froh gewesen, seinen Namen auf der Bewerberliste zu lesen. Betsinger war ein alter Freund von ihr aus Polizeihochschulzeiten. Er saß aber gerade noch im Flieger aus Rom.

»Und nun, der Einfachheit halber, von innen nach außen:« Vogels Geste hatte die Eleganz und Verve eines Großzauberkünstlers. »Zunächst Doktor Alfons Horn und Doktor Bertram Horn, die Experten für Spurenkunde …«

Die Hörnchen. Gleichfalls Freunde von Katharina. Und die Besten ihres Fachs. Die eineiigen Zwillinge waren an diesem Morgen in den gleichen schwarzen Anzug und das gleiche weiße Hemd gekleidet. Damit man sie unterscheiden konnte, trug das eine Hörnchen eine rote Fliege mit blauen Punkten, das andere eine blaue Fliege mit roten Punkten.

»Daneben Kriminalhauptkommissar Doktor Arnulf Sturmer …«

Niemand würde vermuten, dass der Mann mit der Statur eines Preisboxers aus der unteren Liga und dem Gesicht einer missgelaunten Bulldogge Psychologie studiert hatte.

»Die uniformierten Beamten sind Polizeihauptwachtmeister Harald Markert …«, fuhr Vogel fort.

Harry. Katharinas erster Partner. Ihr Ausbilder. Ein großer, gutmütiger, grauhaariger Bär, ein »Schutzmann von nebenan«, der aber auch sehr ungemütlich werden konnte.

»… Kommissarsanwärter Darian Kadkani …«

Jung, drahtig, schneidig, olivfarbener Teint, militärischer Haarschnitt und gepflegter Schnauzbart: ein stolzer »Mitbürger mit Migrationshintergrund in Uniform«.

»Daneben wiederum Polizeioberkommissar Oswald Kramer …«

Oswald schaffte es auch an diesem Morgen, seine Uniform wie ein Fashion-Statement aussehen zu lassen. Er musste sich die Kleidungsstücke maßfertigen lassen. Gegönnt war es ihm, denn er war der beste Einsatzkoordinator, den Katharina kannte.

»Diana Söhnlein …«

Jeannie, wie sie allgemein nur genannt wurde – nach der bezaubernden Jeannie aus der beliebten Fernsehserie der Sechziger und Siebziger. Blond, zierlich, gut gelaunt. Ihr enger Rock gerade noch diesseits der Ziemlichkeitsgrenze. Sie war Amendts Sekretärin, doch eigentlich träumte sie davon, Schauspielerin zu werden.

»Frank Grüngoldt, der ab dem Sommer seinen Zivildienst in der IT der Sonderermittlungseinheit ableisten wird …«

Der schlaksige Junge mit den zu groß geratenen Ohren war der Sohn von Oberbürgermeisterin Walpurga Grüngoldt. Katharina hatte ihm das Leben gerettet. Seither hatte er sich in den Kopf gesetzt, Polizist zu werden.

»Und natürlich die beiden Leiter der Institution: Professor Doktor Andreas Zölestin Amendt …«

Amendts zweiter Vorname war Zölestin? Das hatte Katharina nicht gewusst. Sie musste sich eingestehen, dass sie ohnehin nicht viel über ihn wusste. Endlich traute sie sich, ihm einen Blick zuzuwerfen. Gut sah er aus. Erholt. Die Haut gebräunt. Der graue Anzug saß wie angegossen. Sein schwarzes Haar war frisch geschnitten. Und er hatte endlich den Kampf mit dem Rasierer aufgegeben und sich einen gepflegten Dreitagebart stehen lassen. Souverän stand er da, die linke Hand lässig in die Hosentasche gesteckt, als absolviere er solche Pressetermine jeden Tag.

»Zu guter Letzt die kriminalistische Leiterin: Kriminaldirektorin Katharina Klein!«

Nachdem er nun endlich alle Anwesenden vorgestellt und begrüßt hatte, stellte sich Vogel etwas aufrechter hin. »Ich bin wirklich stolz darauf, die Sonderermittlungseinheit sowie das Institut für okkulte Pathologie und kryptoforensische Medizin offiziell eröffnen zu dürfen. Aus diesem Anlass möchte ich ihnen gleich den ersten Fall übergeben.«

Während Vogel mit der einen Hand den Aluminiumkoffer vor sich aufklappte, ergriff er mit der anderen das Wasserglas, das für ihn bereitgestellt worden war. Er nahm einen großen Schluck …

doch …

er …

schluckte …

nicht!

Katharina wusste, was er vorhatte, noch bevor sie die monströse Pistole sah, die Vogel nur Sekunden später in der Hand hielt.

Sie sprang vor. Die Steinstufe unter ihr gab endgültig nach.

 Katharina stürzte, versuchte sich abzufangen. Ihr Fuß stieß hart auf die nächsttiefere Stufe, glühender Schmerz schoss durch ihren Knöchel. Sie kippte nach vorne, schaffte es gerade noch, den Arm vor das Gesicht zu legen, dann schlug sie auf dem harten Stein der Treppe auf.

Sie wollte sich sofort wieder aufrappeln, doch ihr Arm hatte keine Kraft, auch nicht ihr Bein, das jetzt bis zur Hüfte vor Schmerzen loderte. Hilflos ließ sie sich zurücksinken …

… und musste mit ansehen, wie Vogel sich die Pistole unter das Kinn setzte …

Bitte, bitte, bitte lass das einfach einen schlechten Scherz sein!

… und abdrückte.

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