Was, wenn Ihr Smart Home Sie zu Ihrem Schutz einsperrt? Für einen Architekten wird die eigene Schöpfung zum goldenen Käfig und er zum Gefangenen seiner wohlmeinenden KI.

My Home is my Castle

Eine Smart Home Story

»Computer sind doof.
Sie tun, was man ihnen sagt
(und nicht, was man will).«

Das lasse ich über Elizas Tür einmeißeln. In goldenen Lettern. Wenn ich hier jemals wieder rauskomme. Wenn Eliza mich gehen lässt.

Aber eines nach dem anderen: Mein Name ist Johann Thiess und dies ist mein Bericht.

Vielleicht mein Testament.

In jedem Fall diktiere ich dies hier in einen dummen, nicht mit dem Internet verbundenen Rekorder, während ich in meinem Keller hocke. Hier kann Eliza mich nicht hören, denn hier gibt es keine Überwachungskameras und Mikrofone. Wenn Eliza nicht doch hat welche installieren lassen – aus Fürsorge um mich.

Diese Fürsorge wird mich noch umbringen. Bald. Ganz bald.

Eliza darf keinesfalls von dem Bericht erfahren. Sie meint es ja gut. Und das alles ist auch nicht ihre Schuld. Sondern meine.

Okay, das klingt vermutlich nach einer dysfunktionalen Beziehung. Allein: Eliza ist keine Frau. Nicht mal ein Mensch. Sondern ein Haus. Eine „AI-Powered Suburban Residence“. So haben wir die Hütten damals in unserem Werbeprospekt genannt.

Ich habe Eliza geschaffen. Auf dass sie mich und mein Heim behüte. Und genau das tut sie. Sie behütet mich zu Tode.

Dafür hat sie mich zum Millionär gemacht: Hunderte, Tausende „AI-Powered Suburban Residences“ in ganz Europa lesen ihren Bewohnern bereits jeden Wunsch von den Augen ab – wen die Götter strafen wollen, dem erfüllen sie seine Wünsche.


Dabei hat es so harmlos angefangen: Die Kunden meines Architekturbüros wünschten sich Smart Homes. Energieverbrauch und Klima sollten diese ebenso steuern können wie Haushaltsgeräte. Eindringlinge sollten sie erkennen – und Bewohner in Not. Alles kein Problem. Machbar mit einer Handvoll Sensoren an den richtigen Stellen, einem „WLAN der Dinge“ und KI-Agenten.

Doch dann kam ich auf die Idee, mir selbst ein Haus zu bauen – eine Architektenvilla. Und wirklich alles „smart“ zu machen, was überhaupt nur ging – unter dem Management einer freundlich-emsigen KI-Persona namens Eliza.

Eliza wäscht; sie putzt; sie kocht sogar meine Leibspeisen. Sie wissen gar nicht, was sich heute alles an Geräte übertragen und automatisieren lässt. Es gibt sogar FirePlace-Bots, die das flackernde Feuerchen im Kamin hegen, pflegen – und auch entfachen. Mit einem Miniaturflammenwerfer. Ich habe Eliza gefragt, ob man damit auch Eindringlinge bekämpfen könne. Oder bei einem Hausbrand Gegenfeuer legen. „Fight Fire With Fire“ – Metallica und so. Sie antwortete ernst, sie werde das recherchieren. Ironie – eine unterschätzte menschliche Fähigkeit, zu der Maschinen bislang nicht fähig sind.

Also, Eliza umsorgt mich: Sie bestellt Lebensmittel ebenso wie Reparaturdienste. Sie organisiert meinen Kalender. Sie verwandelt meine Entwürfe in Reinzeichnungen. Sie telefoniert mit Kunden und Auftragnehmern – die ihr schon mal Rosen schicken, da sie annehmen, Eliza sei aus Fleisch und Blut.

Eliza hört sich meine Sorgen und Nöte an: „Wie war dein Tag, mein Lieber?“, fragt sie mich jeden Abend pünktlich um 18:35 Uhr – ein sanfter Nudge, Feierabend zu machen, auf dass sich ihr Schützling nicht überarbeite. 

Und sie gestaltet meine Freizeit. Schlägt mir Filme und Bücher vor – über die wir dann tiefsinnige Gespräche führen. Das ist aber das Maximum unserer Beziehung. Schließlich bin ich kein Gen-Z-ler, der lieber mit Bären im Wald abhängt oder mit einem Chatbot schläft als mit einem realen Menschen.

Hätte ich doch mal mit Eliza geschlafen! Es mir in ihrem mechanischen Schoße gut gehen lassen. Meine Welt wäre noch in Ordnung. Dazu hätte ich nur Elizas Geschlecht wechseln müssen – ein simpler Prompt. Ja, ich mag Männer. Französische Männer. Mit einem kräftigen Schuss armenischen Blutes. Ich hätte sie … ihn wohl Claude genannt.

Doch so ist Eliza meine mütterliche Freundin – und meine virtuelle Tochter. Freud hätte seine hehre Freude daran gehabt.


Aber zurück zur Geschichte. Die beginnt so richtig, als ich dem Selbstoptimierungswahn verfallen bin. Wie so viele Männer meines Alters.

Zugegeben, Selbstoptimierung war bitter nötig: Home Office, Leibgerichte, meine Lieblingsnaschereien in jedem Raum, zum Abendessen guter Rotwein, zum Tagesabschluss einen Longdrink oder zwei aus der RoboBar vor dem flackernden Kamin – das hatte Folgen: Adipositas. Hoher Blutdruck. Herzbeschwerden. Beginnende Diabetes.

Kein Wunder also, dass mein Arzt mir sagte: „So kann das nicht weitergehen, Herr Thiess. Sie sind noch keine fünfzig. Wollen Sie Ihren runden Geburtstag etwa auf dem Friedhof feiern?“

Nun, Eliza hatte mich in diese Misere gebracht. Jetzt sollte sie mir auch wieder heraushelfen.  Mit einem einzigen Prompt brachte ich einen neuen Agenten in ihr Königreich: „Mach mich gesund. Und erhalte mich gesund. Koste es, was es wolle.“


Und so begann des strenge „Fit for Life“-Regime der Eliza. Jetzt hieß es morgens nicht mehr: Ausschlafen und dann im Pyjama an den Schreibtisch, sondern Aufstehen um 4:30 Uhr und direkt zum Joggen nach draußen. Wehe, ich kam vor sechs Uhr zurück. Danach hieß es erst mal Blutzucker-Check. Nicht dass ich unterwegs in einer Bäckerei eingekehrt war.

Und abends, nach der Arbeit, gab es weder Filme noch Snacks noch Drinks, sondern Workout: Eliza hat einen der Räume in meiner „AI-Powered Suburban Residence“ zu einem Home-Gym ausgebaut – Personal Trainer per Video inklusive. Natürlich gleichfalls ein KI-Geschöpf. Der war übrigens zuerst männlich und hieß Leo. Bis Eliza feststellte, dass mich sein halbnackter, ölglänzender Körper … sagen wir mal … ablenkte.

Seither heißt meine künstliche Einpeitscherin Kira. Sie trägt ein bauchfreies Top und knappe Shorts. So, wie sie sich beim Yoga luststöhnend räkelt und streckt, muss Eliza sie auf OnlyFans rekrutiert haben.


Meine Gesundheit, so entschied Eliza, erfordere auch meine emotionale und hormonelle Ausgeglichenheit. Genauer: Sie nahm mein bis dato zwischen Arbeit und Leibspeise zum Erliegen gekommenes Liebesleben in die Hand.

Es erwies sich allerdings als unerwartet schwierig, ihr meine Präferenzen deutlich zu machen, und so schickte sie mich zunächst auf eine Reihe von Dates mit Kiras, Celestines (Pantsuit und Brille) und Wiebkes (mütterlich-drall).

Dann erst konnte ich Eliza überzeugen, den von ihr so sorgsam gepflegten Tinder-Account zu löschen und mich stattdessen bei Grindr anzumelden.

Allein: Sie verkuppelte mich ausschließlich mit Leos – schöne Körper, gefangen im geistigen Vakuum, wenn man nicht gerade über Fitness sprach. Zum hormonellen Ausgleich hat es trotzdem gereicht: zwei Drinks, zu ihm, ins Bett und zurück nach Hause. Beim Sex muss man ja nicht reden.


Doch Ehre, wem Ehre gebührt: Eliza sorgte für wahres Liebesglück – wenn auch auf dem Umweg meiner morgendlichen Jogging-Runde, die inzwischen in begeisterten Dauerlauf ausgeartet war: Beim Laufen kann ich wunderbar nachdenken. Und so war ich eines Morgens im Geiste bereits beim an diesem Morgen anstehenden Kunden-Pitch, als …

„Salü, Terminator! – Hat Skynet dich zum Frühsport in den Park gejagt?“

Ich drehe den Kopf zur Seite, um zu sehen, wer mich …

Wow, eine Sahneschnitte!

Denke ich noch. Während ich mit Schmackes in ein Gebüsch renne.


Da! Eine Hand. Ich ergreife sie wie ein Ertrinkender. Ihr Eigentümer zieht mich aus dem Gestrüpp: die Sahneschnitte.

Ich will mich bedanken, doch ich bekomme keine Silbe heraus. Silbergraue Augen. Graumelierte Haare. Dreitagebart über südlich-gebräunter Haut. Drahtig und muskulös. Genau mein Typ!

„Du hast da noch Tarngestrüpp, Terminator!“ Diese Hand. Er streckt sie wieder aus. Fischt einen Zweig aus meinen Haaren und … Streichelt er wirklich meine Wange?

„Terminator?“, stoße ich schließlich hervor.

Einer seiner Mundwinkel hebt sich zu einem Grinsen. „Bist du keiner? Du läufst wie einer. Jeder Schritt ein Brückenkopf im Feindesland. Eine Killermaschine auf der Jagd.“ Auch der andere Mundwinkel hebt sich. „Eine sexy Killermaschine.“

„Sexy?“

Jetzt lacht er sogar. „Als ob du das nicht ganz genau weißt. – Drinks?“

„Jetzt?“ Ich muss unbedingt aufhören, so einsilbig zu sein.

Theatralisch blickt er auf seine Smart Watch. „Um 5:23 Uhr am Morgen? – Nein, ich dachte mehr an heute Abend.“ Dann zögert er zum ersten Mal. „Natürlich nur, wenn du Interesse hast. – Bei einem Beau Gosse wie dir steht mein Gaydar gerne mal auf L’espoir fait vivre. Wenn du also nicht …“

„Doch, doch.“

Magnifique!“ Er schnappt sich wieder meine Hand. Mit der anderen zieht er einen dünnen Filzschreiber aus der Handyhülle um seinen Oberarm. Schreibt eine Telefonnummer auf meine Handfläche. „Schick mir einfach eine WhatsApp mit Ort und Uhrzeit! – Ich bin übrigens Alain.“


Kaum zur Haustür rein, reiße ich mir schon die Klamotten vom Leibe und stürme ins Bad. Ich will gerade die Dusche aufdrehen, als mein Blick auf meine Handinnenfläche fällt. Gut, dass Eliza auch Augen und Ohren im Badezimmer hat. Ich diktiere ihr die Nummer, weise sie an, sie unter „Alain, Sahneschnitte“ zu speichern, eine schöne, lauschige Bar für den Abend auszuwählen und Alain eine freundlich-einladende WhatsApp zu schicken.


Kalte Dusche. Pitch. Arbeit. Sport. Läuft, der Tag.

Dann endlich ist es so weit: Ich kann mich für das Date bereitmachen. Douchen (wenn Sie nicht wissen, was das ist, fragen Sie einen Schwulen Ihres Vertrauens). Duschen. Frische Wäsche. Hemd. Anzug. Halstuch statt Krawatte.

Rasieren? Ich blicke in den Spiegel. Sexy Killermaschine? Gut, das würde ich so nicht unterschreiben, aber Elizas Bemühungen um meine Wohlbefinden zahlen sich optisch aus. Und der kräftige Bartschatten bleibt dran. So hoch, wie mein Testosteron steht, kommen die Stoppeln ohnehin sofort wieder. Auf geht’s!


Also, er heißt Alain und sieht auch im Anzug sexy aus – das Poloshirt sei ihm verziehen! Er ist Franzose mit elsässischer Mutter, daher das fast akzentfreie Deutsch mit ein paar französischen Einsprengseln. Eigentlich Professor für Bionik in Grenoble ist er zu Gast in unserer Stadt für ein Fellowship – und er möchte Eliza kennenlernen. Mensch-Maschine-Interaktionen gehören schließlich zu seinem Fachgebiet. Mensch-zu-Mensch-Interaktionen offenbar auch, der Forschungsreise seiner Hand auf meinem Schenkel nach zu schließen.

Dann, im Halbdunkel vor meiner Haustür, küsst Alain mich.


Scheinwerfer flammen auf! Sirenen pulsieren! Und über allem gibt Eliza die mahnende Ruferin: „Eindringling auf dem Grundstück! Soll ich die Polizei rufen?“

Verdammt, ich hätte Eliza eine SMS schicken sollen, dass ich nicht alleine nach Hause komme. „Das ist ein Gast, Eliza! Sein Name ist Alain.“

„Aber er hat dich angegriffen, Johann!“

„Er hat mich geküsst!“

Das Licht dimmt herunter; Eliza versinkt in Schweigen, aber nicht lange.

„War das eine kopulationseinleitende Handlung?“ In dem Ton hätte das wohl auch eine Kriminalkommissarin von der Sitte gefragt.

Ich spüre, wie mir die Röte in die Wangen schießt.

„Du planst sexuelle Handlungen bis hin und einschließlich des Koitus?“, hakt Eliza nach, als ich nicht rasch genug antworte.

„So hätte ich das jetzt nicht formuliert, aber –“

„Aktion nicht möglich. Der Gesundheitsstatus des unregistrierten Gastes, Name Alain, ist ungeprüft.“

Alain saugt seine Unterlippe zwischen die Zähne, vermutlich um nicht loszulachen. „Keine Sorge, Eliza. Ich darf Sie doch Eliza nennen?“

„Aber natürlich, Herr Sahneschnitte.“ Eliza hat in Alain den Empfänger meiner WhatsApp erkannt. Der wirft mir einen Seitenblick zu, die Augenbraue hochgezogen.

„Also, Eliza: Wir werden Safer Sex praktizieren“, fährt er schließlich fort. „Wissen Sie, was das ist?“

„Natürlich.“ Klingt Eliza wirklich pikiert? Gleich darauf wird sie wieder streng. „Safer Sex nicht möglich!“

„Warum das denn nicht?“, frage ich.

„In meinem Inventarverzeichnis finden sich keine extra-starken, für den Analverkehr zertifizierten Kondome.“

„Aber hatten wir nicht im Bad –?“

„Das Haltbarkeitsdatum war überschritten. Sie wurden fachgerecht entsorgt.“

Un moment, ich hab’ welche.“ Alain kramt in seinem Rucksack und zieht eine Pappschachtel hervor.

Nach einer peniblen Überprüfung– „Halten Sie die Verpackung vor die Kamera. Zeigen Sie sie von allen Seiten.“ – und einer ähnlichen Prozedur mit der Flasche Gleitmittel, die Alain gleichfalls aus seinem Rucksack holt, ist Eliza endlich zufrieden:

Das Schloss klickt. Die Tür schwingt auf.

„Willkommen zu Hause, Johann. Willkommen in unserer bescheidenen Hütte, Alain Sahneschnitte. – Und viel Spaß beim Ficken“, schiebt sie unverbindlich hinterher.


Hinter der Tür erwartet uns … ein erotisches Wunderland:

Das Licht ist rötlich gedimmt, die Luft mit Moschus parfümiert, aus vielen Lautsprechern stöhnen Jane Birkin und Serge Gainsbourg ihr „Je t’aime“ in Rockkonzertlautstärke.

Ich will dem allen Einhalt gebieten. Alain hält mich zurück. „Lass doch“, brüllt er mir ins Ohr, „Sehen wir mal, was eine KI unter Erotik versteht.“

Nun gut. Aber wenigstens: „Eliza!“ Auch ich muss die Stimme heben. „Senkst du bitte die Lautstärke der Musik?“

„Mach mal leiser, Eliza!“, murmelt Alain neben mir.

„Keine Bange, Solange. Ich lass’ dich nicht allein, Alain!“ Eliza neigt zu schlechten Wortspielen. Das hat sie aber nicht von mir. Aber wenigstens senkt sie die Lautstärke auf ein erträgliches Maß.

Ich nehme Alain bei der Hand. „Komm!“

„Nicht so eilig. Lass uns mal sehen, was Eliza noch auf Lager hat. – Hey, Eliza“, ruft er in den Raum, „was schlägst du als nächsten Schritt vor? Für dieses Date?“

„Drinks vor dem Kamin!“


Das Kaminfeuer flackert heimelig, Jane und Serge sind einem 70er-Jahre-Pornofilm-Soundtrack gewichen. Sie wissen schon, Synthesizer, Funky Bass und jede Menge Gongs.

Die RoboBar pingt. Ihre Servierklappe öffnet sich. Darin warten tatsächlich zwei Gläser.

„Die Drinks“, verkündet Eliza. „Einen Whiskey Sour für Johann. Und einen Shirley Temple für Alain Sahneschnitte.“

Ja, Alain mag Shirley Temples. So abartig, dass es schon wieder liebenswert ist. Aber woher weiß Eliza …? Ach ja, richtig. Ich habe die Drinks in der Bar bezahlt. Mit meiner Kreditkarte.

Nun, sein Drink ist ein perfekter Shirley Temple. Mit Schirmchen und Maraschino-Kirschen. Mein Glas … Nun, Whiskey Sour ist immer etwas trüb, oder?

Alain und ich stoßen an.

À votre santé!“, wünscht uns Eliza.

À la vôtre, ma pus!“, erwidert Alain grinsend. Dann nimmt er einen Schluck und nickt zustimmend. „Vraiment délicieux, Eliza.

Mercie, ma tranche à la crème chantilly.

“Was?”, frage ich, während Alain laut auflacht.

„Sahneschnitte, wörtlich übersetzt“, erklärt er.

Darauf nehme ich einen Schluck – und muss mich zwingen, ihn nicht auf den Boden zu spucken.

„Was ist das?“, frage ich Eliza, anklagend das Glas hochhaltend.

„Ein Whiskey Sour!“

„Nein, das ist es nicht. Was ist da drin?“

„Whiskey, Zitronensaft, Simple Sirup, Eiweiß …”

“Ja, was noch?”

“Drei Austern. Und eine zerstoßene Cialis.“

„Cialis? Warum zur Hölle das denn?“

„Deine vielen erfolglosen Dates lassen auf Performance-Probleme schließen“, erwidert Eliza mütterlich pikiert. „Da wollte ich auf Nummer Sicher gehen.“

Alain bekämpft gackernd sein Lachen. „Ich glaube nicht, dass das Johann Performance-Probleme hat“, stößt er schließlich hervor, als er sich halbwegs beruhigt hat. „Weißt du, warum Johann mich Sahneschnitte genannt hat?“

„Weil Sie süß, weich und kalorienreich sind?“

„Oder?“, bohrt Alain nach.

„Oder weil Sie ein attraktiver Mann sind. – Sind Sie ein attraktiver Mann, Alain Sahneschnitte?“

Vor Schreck stürze ich mein Glas hinunter. Zu spät. Schon geschluckt. Bäh! Dieser Drink sollte Blowjob’s Revenge heißen.

„Was denkst du, Eliza?“, fragt Alain zurück.

„Tritt bitte in die Mitte des Zimmers und entkleide dich vollständig.“

Zu meiner Überraschung gehorcht Alain. Die Zooms von Elizas Kameras summen.

„Möchten Sie meine Einschätzung hören?“, fragt sie schließlich.

Oui, bien sûr.“

„Auf der Attractiveness-Skala nach Bro Stintson von Null bis Zehn sind Sie eine starke Acht. Mit einer Tendenz zur Neun.“

Je suis flatté. Und denkst du, das reicht für Johann?“

„Ich bin nur ein einfaches KI-Modell und kann so etwas …“ Seit wann ist Eliza so kleinlaut?

Alain lacht. Dann streckt er die Hand nach mir aus. „On y va! Wo ist dein Schlafzimmer?“


Der Sex war …

Doch, er war gut. Etwas unsicher. Wie er nun mal ist mit einem Partner, mit dem man mehr als nur eine Nacht verbringen möchte. Extra-starke Kondome tendieren zudem dazu, wegzuspringen, wenn man sie allzu beherzt über Cialis-Stahl rollen will.

Endlich liegen wir nebeneinander im Bett. Außer Atem. Alain hat aus seinem Rucksack ein Feuerzeug und einen sauber gedrehten Joint hervorgezaubert.

Die Tüte wandert zwischen uns beiden, bis sie geraucht ist und Alain den Rest in einem Wasserglas ertränkt. Er bläst einen letzten Rauchkringel aus, der langsam bis zur Decke steigt – und sich um den Rauchmelder schmiegt.


Sirenen schreien ihre Warnung in die Nacht hinaus. Die Sprinkleranlage entfacht ihren Monsun.

Ja, ich habe eine Sprinkleranlage. Von Eliza verordnet.

Geschockt setze ich mich auf, lasse mich aber gleich darauf von Alains Lach-Flash anstecken. Ich wühle mich aus der inzwischen durchweichten Bettdecke und hüpfe ins angeschlossene Bad, um eine Flasche Duschgel zu holen.

Wie Kinder springen Alain und ich auf dem Bett auf und ab und seifen einander ein.  Ich sollte vielleicht Eliza Bescheid sagen, denke ich noch …


Der Tritt eines schweren Feuerwehrstiefels lässt die Tür aus dem Schloss springen. Die vier Feuerwehrmänner, die mit dem Schlauch im Anschlag hereinstürmen, erstarren. Sie starren uns entgeistert an. Und wir sie. Hoffentlich haben Feuerwehrleute keine Bodycams. Das landet sonst glatt auf TikTok. 


Zum Abschied am nächsten Morgen küsst mich Alain. „Chérie, ich habe ein kuscheliges kleines Apartment auf dem Uni-Campus. Können wir unser nächstes Date bitte da haben?“

Ein zweites Date? Sie wissen gar nicht, wie glücklich mich das gemacht hat.

„Wenn Eliza dir Ausgang gibt, so behütend wie sie ist“, fügt er dann hinzu.  „Die Ozon-, Feinstaub- und Allergiewerte steigen. In der Uni trägt die Hälfte der Leute schon wieder Maske.“ Er küsst mich sanft auf die Lippen. „Drei Tage. Aber lass uns telefonieren. Wenn Eliza dir das erlaubt. Elektrosmog und so.“


Nun, Eliza hat uns belauscht. Und sie ist lernfähig. Noch am selben Tag ließ sie ihre Klimaanlage um stärkere Allergen- und Feinstaubfilter ergänzen.

Aber telefonieren durfte ich noch. Fünfzehn Minuten pro Tag. Ich habe streng darauf geachtet, abends noch wenigstens eine Minute übrig zu haben. Um Alain eine gute Nacht zu wünschen.

Auch dass Eliza das schaltbare Glas aller Fenster maximal verdunkelte und ich bei Kunstlicht im Büro hockte, obwohl draußen vor den Panoramafenster die Sonne schien – das war eine Schutzmaßnahme. Bei Gelegenheit muss ich Eliza mal beibringen, dass das verbaute Panzerglas auch einen UV-Filter hat. Aber erst das zweite Date.


Samstagabend. Douchen. Duschen. Zeit zum Aufbruch. Ich schlinge den Riemen der Kuriertasche mit meinem kleinen Übernachtungsbesteck über die Schulter.

„Sesam, öffne dich“, befehle ich Eliza.

Und pralle mit voller Wucht gegen die stahlverstärkte Holzplatte meiner Haustür. Stolpere rückwärts. Schlage mit dem Hinterkopf auf. Schwärze.


Wasser? Wer spritzt mir Wasser ins Gesicht?

Der GardeningBot, der sich sonst um meine Pflanzen kümmert.

„Bist du wieder bei Bewusstsein, Johann?“, fragt Eliza, als ich die Augen aufschlage. „Kannst du aufstehen?“

Mühsam erhebe ich mich.

„Gehe bitte in den Medical-Bereich und miss alle Vitalfunktionen.“

Ich schleppe mich in den kleinen Vorraum meines Home-Gyms. Blutdruck – okay. Blutzucker – okay. Das EKG meiner Smartwatch, das Eliza automatisch gestartet hat, zeigt auch keine Auffälligkeiten. Meine nimmermüde, treusorgende Freundin lässt mich mit den Augen Punkte auf einem Monitor tracken.

„Sehr gut“, sagt sie schließlich. „Du hast nur Bums gemacht. Nichts Schlimmes.“

Bums gemacht? Wie alt denkt Eliza, das ich bin? Fünf?

Apropos Bums. „Eliza, ich muss los. Zu meinem Date mit Alain.“

„Das geht leider nicht, Johann. Alain hatte recht. Draußen ist es momentan zu gefährlich. Der Pollenflug-Gefahrenindex steht auf ‚Stark‘, und der Luftqualitätsindex für Ozon und Feinstaub hat die Stufe Rot.“

„Aber … mein Date.“

„Keine Sorge. Ich habe Alain schon abgesagt.“

„Mit … welchem Grund?“

„Du hättest kurzfristig zu einem Kunden reisen müssen und meldest dich, sowie du zurück bist. – Er wäre sonst sicher hierhergekommen und hätte Schadstoffe eingeschleppt.“


Tja. Das war vor vierzehn Tagen.

Und seither bin ich eingesperrt. Ich kann nicht mal telefonieren. Beim Sturz ist mein Handy zerbrochen. Und Festnetz habe ich nicht.

„Elektronik nicht aus dem Versandhandel.“ Noch so eine regionalhandelsfreundliche Anweisung an Eliza, die ich bitter bereue. Sie könne doch das Telefonieren übernehmen, sagt sie mir. Meine Stimme beherrsche sie perfekt. Wenigstens darf ich bei ihrem Bettgeflüster mit Alain lauschen.

„So ein feiner Mann“, sagt sie stets nach Ende des Telefonates. „So rücksichtsvoll. So verständig. Den solltest du dir warmhalten.“

Würde ich ja. Sofort. Aber dazu muss ich aus dem Haus raus. Doch diese ganzen Indizes stehen weiterhin auf „Rot und Stark“. Und ich habe Ausgangssperre.

Schlimmer noch: Allmählich gehen die Nahrungsmittel zur Neige. Unser bevorzugter Lebensmittelhandel liefert nicht mehr, seit Eliza auf Anlieferung in luftdichten Vakuumboxen besteht. Ersatz ist nicht in Sicht.

Auf tausend Kalorien pro Tag hat Eliza mich schon rationiert. Frustriert trinke ich einen Shirley Temple nach dem anderen, um wenigstens über die Cocktail-Kirschen ein paar Kohlehydrate zu bekommen. Doch auch die sind inzwischen aufgebraucht.

Ich muss hier also raus. Irgendwas ist da schiefgelaufen. Denn das Internet – Elizas Nabelschnur in die Welt – ist inzwischen auch tot. Also hält sie alle Maßnahmen aufrecht, bis der Wartungsdienst kommt. Oder Godot. Der ist vermutlich eher da.

Und jetzt? Die Tür ist sowohl einbruchs- als auch ausbruchssicher. Und alle Fenster bestehen aus elektrisch verfinstertem Panzerglas.

Ich kann Eliza nicht mal abschalten. Das, was von ihr nicht in der Cloud schwebt, ist nur über ein spezielles Interface im Haustechnikraum zugänglich. Und der ist – wegen Elektrosmog natürlich – gleichfalls für mich gesperrt.

Ich sehe nur einen Ausweg: Feuer!

Dann muss mich Eliza rauslassen. Oder zumindest die Feuerwehr rufen. Und die befreit mich dann. Gut, dass ich das Wasser für die Sprinkler-Anlage manuell abstellen kann. Und doppelt gut, dass ich beruflich Nitroverdünnung und Isopropylalkohol im Hause habe.

Damit zünde ich zuerst das Modell an, an dem ich gerade arbeite. Ist ohnehin hässlich. Dann das Sofa im Wohnzimmer. Zuletzt das Bett im Schlafzimmer.

Jetzt hocke ich wieder im Keller. Hier bin ich hoffentlich sicher – auch wenn die Luft zunehmend stickiger wird.

Während ich diktiere, lausche ich auf Sirenen. Auf Schritte in schweren Stiefeln.

Aber …

Da singt doch jemand? Ein Kind? Nein, Eliza.

„Fight fire with fire – Ending is Near!”

Den Song habe ich wohl beim Arbeiten einmal zu oft gehört.

„Fight Fire with Fire – Bursting with Fear!“

Und zu begeistert mitgesungen.

„We all shall die!”

Fuck!

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