Westend Blues – Katharina Klein in Schwierigkeiten

Westend Blues

Katharina Klein in Schwierigkeiten

Eine Leseprobe

Suspendiert, des Mordes beschuldigt, zur Babysitterin degradiert:
Genau der richtige Zeitpunkt für Katharina Klein,
sich in den völlig falschen Mann zu verlieben.

»Hast du heute böse Männer gefangen?« – Die vierjährige Laura ist Katharina Kleins größter Fan. Umgekehrt ist das nicht der Fall, schon gar nicht am zweitschlechtesten Tag in Katharinas Leben: In einer missglückten Polizeiaktion ist ihr Partner umgekommen – und sie selbst hat zwei Menschen erschossen. Jetzt ist sie suspendiert und sieht sich einer Mordanklage gegenüber.

Doch als Lauras Mutter ermordet wird, muss Katharina Laura bei sich aufnehmen; und bald schon setzt die Kommissarin alles daran, das Versprechen, das sie dem kleinen Mädchen gibt, einzulösen und den Mörder von Lauras Mutter zu finden.

Unerwartete Hilfe erhält Katharina durch den arroganten, undurchsichtigen und leider viel zu attraktiven Gerichtsmediziner Andreas Amendt – mit dem sie mehr verbindet, als gut für sie ist. Aber alles zu seiner Zeit: Erst muss sie Laura noch in den Kindergarten bringen …

Katharina Klein liebt Oldtimer, Schusswaffen – und sie hasst Gewaltverbrechen.
Um die Täter zu finden, geht sie stets auf Ganze.
Sie ist Frankfurts chaotischste (und beste) Kriminalpolizistin.

BIBLIOGRAFISCHE DATEN

Helmut Barz: Westend Blues – Katharina Klein in Schwierigkeiten
Taschenbuch: [D] 15,99 € (ISBN 978-3748569084)
eBook: [D] 3,99 € (ISBN 978-3748568667)

 

Girl from Ipanema

Donnerstag, 22. November 2007

Das Klingeln des Handys verkündete den Beginn eines furchtbaren Tages.

Katharina kämpfte ungelenk mit ihrer Bettdecke, die sie in flauschig-fester Umarmung gefangen hielt und sich beharrlich weigerte, sie freizugeben.

Geschafft. Endlich.

Gleich darauf bereute sie die Befreiungsaktion. War das kalt! Eindeutig die falsche Jahreszeit, um nackt zu schlafen.

Aber …

Was war doch noch gleich? Ach ja, ihr Handy.

Die Uhr auf dem Nachttisch zeigte sechs Uhr. Welcher Barbar rief um diese Uhrzeit an?

Katharina tastete nach ihrer Jeans, fand sie neben dem Bett und zog das kleine Telefon aus der Tasche. Auf dem Display stand »Polizeipräsidium Frankfurt – Durchwahl: POLANSKI«.

Oh nein, nicht so früh am Morgen!

Sie drückte so lange auf die Taste mit dem roten Hörersymbol, bis sich ihr Handy ganz abschaltete. Sollte ihr Chef doch auf die Mailbox sprechen.

Erst mal wach werden. Was gegen die dröhnenden Kopfschmerzen tun. Und gegen den Geschmack nach toter Ratte in ihrem Mund. Was hatte sie gestern Abend nur angestellt?

Katharina ließ sich zurück aufs Bett sinken und schaute zur Decke.

Das Bett stand eindeutig falsch. Wann hatte sie denn –?

Sie fuhr hoch. Das hier war nicht ihr Schlafzimmer. Nicht einmal ihre Wohnung. Wo war sie?

Vorsichtig schaute sie zur Seite.

Der Mann neben ihr schlief. Er war nackt bis auf eine mit rosa Plüsch bezogene Handschelle um sein rechtes Handgelenk. Sein Penis steckte noch in einem Kondom. Das musste eine aufregende Nacht gewesen sein.

Leise stand Katharina auf. Sie raffte ihre auf dem Boden verstreuten Kleider zusammen und machte sich auf die Suche nach dem Badezimmer.

 

Das Mundwasser, das sie auf der Ablage über dem Waschbecken fand, vertrieb wenigstens den schlechten Geschmack. Als sie ausgespuckt hatte und sich wieder aufrichtete, fiel ihr Blick in den Spiegel:

Das Neonlicht war wirklich wenig schmeichelhaft. Andererseits hätte wohl auch die sanfteste Beleuchtung den Anblick, der sich ihr bot, nicht schönen können: Ihre sonst so klaren, mandelförmigen Augen waren blutunterlaufen. Außerdem hatte sie vergessen, sich abzuschminken; der verschmierte Lidstrich ergänzte sich mit den Ringen unter ihren Augen zu einer Maske des Grauens. Wenigstens ihr Teint war klar; sie hatte die reine, helle Haut ihrer koreanischen Mutter geerbt. Leider auch ihre begrenzte Trinkfestigkeit. Was hatte sie nur geritten? Sie soff doch sonst nicht.

Egal! Erst mal unter die Dusche.

Der Strahl heißen Wassers reduzierte Katharinas Kopfschmerzen auf ein erträgliches Maß. Sie nahm ein wenig von dem sündhaft teuren Duschgel auf der Ablage und seifte sich ein.

Die Seife brannte auf ihrem rechten Handrücken. Warum das denn?

Zwei parallele Kratzer – auf der empfindlichen Haut zwischen Daumen und Zeigefinger. Der Schorf eines Kratzers hatte sich gelöst; ein Blutstropfen rann langsam die Hand hinab und fiel schließlich in die Wanne.

Katharina betrachtete die Verletzung. Das war ein Gunbite, ein Pistolenbiss. Das passierte, wenn man die Pistole so hielt, dass der Schlitten beim Schuss über die Haut schürfte.

Das war ihr seit Jahren nicht mehr passiert. Und wann hatte sie überhaupt geschossen?

Der gestrige Tag war ein einziges verschwommenes Etwas in ihrem Kopf. Thomas würde ihre Erinnerungslücken füllen müssen.

Thomas. Ihr Partner. Ihr bester Freund. Was er jetzt wohl machte?

Vermutlich war er schon längst auf dem Weg ins Präsidium, Polanskis Lockruf umstandslos folgend. Vorher würde er noch rasch seine beiden Kinder in den Kindergarten bringen. Und wenn er das Haus verließ, gab er seiner Frau immer einen langen Abschiedskuss. Man weiß ja nie …

Parkhaus. Treppe. Schüsse.

Katharina musste sich an der Seifenablage festklammern, um nicht zu stürzen.

Thomas war tot. Er war gestern Abend getötet worden.

Und sie selbst hatte zwei Menschen erschossen.

Ihr Kollege, tot auf der Treppe. Die vier Jugendlichen, die in einer Ecke des Treppenabsatzes kauerten. Die beiden Mädchen weinten. Mehr Polizei war gekommen, Krankenwagen, ein Notarzt.

Paul Polanski, ihr Chef, hatte sie nach Hause gefahren. Nicht ins Präsidium.

Aber sie musste doch ihre Aussage …

»Morgen, Katharina.« Polanski hatte beruhigend den Arm um sie gelegt.

Katharina hatte ihn abgeschüttelt und war aus dem Auto gesprungen.

Und dann? Sie hatte es zu Hause nicht ausgehalten. War in die Nacht hinausgerannt. Hatte getrunken. Und dann war da dieser Mann, schön, nett – warum nicht?

Katharina drehte das kalte Wasser bis zum Anschlag auf. Langsam verschwanden die Bilder. Sie stieg aus der Dusche. Trocknete sich ab. Schlüpfte in ihre Kleider. Im Badezimmerschrank fand sie zwei Aspirin. Dann schlich sie leise aus der Wohnung.

 

Kriminaldirektor Paul Polanski blätterte fahrig in einer Akte. Schließlich warf er den Hefter auf den Tisch: »Berndt Hölsung sagt, er habe die Situation unter Kontrolle gehabt. Er wäre gerade dabei gewesen, die beiden Täter festzunehmen, als Sie … und ich zitiere wörtlich: ›wie eine wild um sich schießende Furie‹ dazwischen gestürmt sind«.

Katharina musste tief Luft holen, um nicht auf der Stelle loszubrüllen. »Seit wann kniet man mit erhobenen Händen vor einer Wand, wenn man jemanden festnehmen will?«

»Das sagen Sie. Hölsung sagt –«

»Befragen Sie doch die vier Geiseln.«

»Das werde ich tun. Verlassen Sie sich drauf. Sobald sie vernehmungsfähig sind. Die stehen immer noch unter Schock. Wissen Sie eigentlich, was Sie denen angetan haben?«

»Ihre Leben gerettet?«

»Sie haben vor ihren Augen zwei Menschen erschossen. Die haben doch ein Trauma fürs Leben. – Zu allem Unglück war eine der Geiseln Frank Grüngoldt.«

»Der Sohn der Oberbürgermeisterin?«

»Genau.« Polanski nickte matt.

Katharina musste schlucken. Walpurga »Für ein sicheres, sauberes Frankfurt« Grüngoldt. Und ausgerechnet ihr Sohn musste in eine Geiselnahme mit tödlichem Ausgang geraten. »Oh je!«

»Das können Sie laut sagen: Oh je! Walpurga Grüngoldt bombardiert mich seit Mitternacht mit Anrufen. Und das ist noch das kleinste Problem. Hölsung will Ihren Kopf. Auf einem Silbertablett.«

»Dafür, dass ich seinen Arsch gerettet habe?«

»Sie haben ihn mit einer Waffe bedroht. Und ihn festgenommen.«

»Wenn ich einen Mann sehe, der einen großen Koffer mit Geld und einen noch größeren mit Kokain umklammert, nehme ich ihn fest. Egal, ob Kollege oder nicht.«

»Berndt Hölsung hat verdeckt ermittelt.«

»In wessen Auftrag?«

Polanski zögerte.

Katharina hätte es sich ja denken können: »War das wieder einer seiner Alleingänge?«

»Er behauptet, er habe einen sicheren Tipp bekommen und musste schnell handeln. – Jedenfalls sagt nun Hölsung –«

»Hölsung sollte besser überhaupt nichts sagen! Welcher Schwachkopf kommt denn auf die Idee, eine fingierte Drogenübergabe in einem öffentlichen Parkhaus zu machen? Zur Hauptgeschäftszeit? Allein? Wofür gibt es denn eigentlich den Osthafen? Ein schönes Lagerhaus mit guter Deckung für das SEK. Das man bei so einem Einsatz natürlich alarmiert. Aber dann steht der Name Hölsung ja nicht so groß in der Presse.«

»Ich weiß das alles, Katharina!«

»Aber?«

»Hölsung hat mächtige Freunde.«

»Er spielt mit dem Innenminister Golf, ich weiß.«

»Und wem, denken Sie, wird man eher glauben? Dem Beamten mit der weißen Weste oder …?« Polanski ließ sich in seinen Sessel zurücksinken und öffnete die Akte wieder. »Hier! Ihre Personalakte. Fünf Schusswaffeneinsätze in den drei Jahren, die Sie jetzt bei mir im KK 11 sind. Drei Anzeigen wegen Tätlichkeiten gegen Verdächtige. Und jetzt auch noch zwei Tote. Mit Kopfschüssen.«

»Alle Verfahren wurden eingestellt. Wegen erwiesener Notwehr!«

»Sie wissen doch genau, wie das läuft. Etwas bleibt immer hängen. Und ich darf gar nicht an die Presse denken: ›Schießwütige Polizistin läuft Amok‹ – Ich sehe es doch schon vor mir.« Polanski musterte sie über den Rand seiner Lesebrille hinweg. »Katharina, ich verstehe Sie nicht. Warum sind Sie so …?«

»So – was?«

»Prädikatsexamen. Sonderausbildung beim FBI in Quantico. Mehrere vorzeitige Beförderungen. Angebote von LKA und BKA. Aber Sie wollten unbedingt zu uns nach Frankfurt. Und seit Sie hier sind –«

»Eine Aufklärungsquote von hundert Prozent.« Dieses Argument stach meistens.

»Und das ist das Einzige, was bisher Ihren Kopf gerettet hat. Sie setzen sich fröhlich über Dienstvorschriften hinweg. Ermitteln gegen strikte Anweisungen. Unterhalten private Kontakte zur Unterwelt –«

»Was?«, fuhr Katharina auf.

»Kommen Sie! Ich weiß, dass Sie mit Antonio Kurtz befreundet sind.«

»Ein alter Bekannter meiner Eltern. Ich kenne ihn seit meiner Kindheit.«

»Gegen Kurtz wurde schon Dutzende Male ermittelt.«

»Und man hat nie etwas gefunden.«

»Aber Sie wissen doch, was man reden wird.«

»Dann sollen die Leute reden. Ich lasse mir mein Privatleben nicht von meinem Dienstausweis diktieren. Sonst noch was? Schnarche ich vielleicht? Verführe Minderjährige zum Sex? Ich habe ja nicht mal ein Alkoholproblem wie viele andere in der Truppe.«

Polanski lachte widerwillig. »Wenn es das wäre. Damit kann ich umgehen.«

»Nun, wenn es Sie beruhigt: Gestern Nacht habe ich gesoffen.«

»Ihre Fahne ist mir schon aufgefallen. Aber gut: Sprechen wir wieder über gestern. Was haben Sie überhaupt in dem Parkhaus gemacht?«

»Thomas und ich wollten in die Oper. Karten kaufen für heute Abend.«

»In die Oper? Sie?« Katharinas Antwort schien Polanski zum ersten Mal wirklich aus der Fassung gebracht zu haben. Er stand wieder auf. Katharina kam nicht umhin, sich von den auf hundertneunzig Zentimeter verteilten hundertzehn Kilo einschüchtern zu lassen. Ein alternder Schwergewichtsboxer – noch immer in der Lage, viele Jüngere direkt auf die Matte zu schicken.

»Nicht meine Idee. Thomas meinte, ein gemeinsamer Abend mit seiner Frau wäre vielleicht ganz nett. Sie ist … sie war … immer extrem eifersüchtig.«

»Sie haben doch nicht –?«

»Mit Thomas?« Katharina lachte grimmig. »Dem bravsten und treusten Familienvater von allen? Dem hätte ich nackt und mit Schlagsahne beschmiert vor der Nase herumtanzen können, und er hätte nur gesagt, ich soll mir was Wärmeres anziehen, bevor ich mir einen Schnupfen hole.«

Polanski blickte betreten zu Boden. »Sie wollten also in die Oper und sind deshalb ins Parkhaus gefahren?«

»Ja.«

»Und wie kamen Sie ins Treppenhaus? Warum haben Sie nicht den Aufzug genommen?«

»Der war kaputt.«

»Und dann?«

»Ich hatte meine Handtasche im Auto liegen lassen. Deshalb ist Thomas schon mal vorgegangen. Dann habe ich die Schüsse gehört. Eine lange Salve aus einer automatischen Waffe. Ich bin ins Treppenhaus geschlichen und habe Thomas auf der Treppe liegen sehen.«

»Weiter!« Polanski setzte sich wieder. Sein Sessel knarrte bedrohlich.

»Ich habe gehört, wie sich die beiden Männer unterhalten haben. Sie wollten die Mädchen und Hölsung als Geiseln mitnehmen und die Jungs erschießen. Da habe ich mir rasch meinen Pullover ausgezogen –«

»Warum das denn?«

»Im Bustier war mein Auftritt als asiatische, betrunkene Nutte glaubwürdiger.«

»Als was?«

»Ich musste die beiden doch irgendwie ablenken. Ich bin also die Treppe hinuntergetorkelt und hab sie erschossen.«

»Absichtlich?«

»Natürlich absichtlich. Was hätte ich denn sonst tun sollen?«

»Sie hätten Verstärkung rufen können.«

»Und bis die anrückt, werden zwei weitere Geiseln getötet? – Und danach? Eine Verfolgungsjagd quer durch die Frankfurter Innenstadt? Wären Ihnen ein Dutzend Tote lieber gewesen?«

Polanski putzte seine Lesebrille mit einem umständlich hervorgekramten Taschentuch. »Mussten es denn gleich Kopfschüsse sein? Meinen Sie nicht, dass die Verwirrung ausgereicht hätte, um Berndt Hölsung –?«

»Hölsung? Der findet doch nicht mal den eigenen Arsch –«

»Katharina!«

»Entschuldigung! Hölsung ist der unfähigste Beamte in Ihrer Abteilung. Und das wissen Sie! Hätte er den heißen Tipp rechtzeitig an die Kollegen von der Drogenfahndung weitergegeben, wäre überhaupt nichts passiert.«

»Vielleicht! Aber zwei tote Verdächtige –«

»Zwei tote Mörder.«

»Zwei tote Verdächtige! Noch gilt in diesem Land die Unschuldsvermutung! – Und jetzt kommen wir hierzu.« Polanski öffnete eine Schublade seines Schreibtischs und nahm eine Pistole heraus. Sie war in einen Plastikbeutel verpackt. Eine Heckler & Koch P 2000. Katharinas Dienstwaffe. Polanski legte einen weiteren Beutel daneben. Ein Magazin. Im dritten Beutel glitzerten Patronen.

»Was ist das?« Er deutete auf die Pistole.

»Meine Dienstwaffe.«

»Und das?« Polanski zeigte auf die Patronen.

»Glaser-Sicherheitsgeschosse«, antwortete Katharina kleinlaut. Die Geschosse dieser Munition bestanden aus einem Kupfermantel mit Plastikspitze, der mit kleinen Schrotkugeln gefüllt war. Höchste Mannstopp-Wirkung. Kein Durchschlag durch das Ziel. Bei Kopfschüssen sofort tödlich. Und …

»Diese Munition ist bei uns strengstens verboten. Sie dürften sie nicht mal besitzen. Und das auch noch aus einer Dienstwaffe.« Polanski lehnte sich in seinem Sessel zurück und atmete tief durch.

»Hätte ich vielleicht mit unseren schwachsinnigen Vollmantelgeschossen schießen sollen? Die wären doch in dem engen Treppenhaus herumgesprungen wie Flummis und hätten zusätzlich noch die Geiseln gefährdet.«

»Sie hätten überhaupt nicht schießen sollen.«

»Und hinnehmen, dass –?«

»Schluss jetzt! Auf jeden Fall sind Sie bis zur Klärung des Vorfalls vom Dienst suspendiert. Ihren Dienstausweis bitte.«

Katharina zog die grüne Karte aus ihrer Handtasche und legte sie auf den Tisch.

»Haben Sie sonst noch etwas in Ihrer Handtasche, das bis zum Abschluss des Verfahrens besser in meinem Schreibtisch bleibt?«

Katharina zog zwei Shuriken – japanische Wurfsterne – aus ihrer Tasche. Und ein Butterflymesser.

Polanski schüttelte missbilligend den Kopf. »Katharina! Sie sind Polizistin, keine mobile Kampfeinheit. Ich habe in meinen ganzen dreißig Jahren bei der Polizei die Waffe nur auf dem Schießstand gezogen.«

»Aber …«

»Ich weiß, was Sie sagen wollen: Der Job ist gefährlicher geworden; wir brauchen bessere Bewaffnung. Meine Güte, Sie sollten mit dem Innenminister Golf spielen. Haben Sie mir sonst noch etwas verschwiegen? Haben Sie vielleicht seit Neuestem einen Kanonenturm auf Morris montiert?«

Morris, ein von ihr selbst restaurierter Mini Monte Carlo, war Katharinas ganzer Stolz. »Nein, nur Raketenwerfer hinter dem Kühlergrill.«

»Was?«

Eine Sekunde lang befürchtete Katharina, Polanski hätte der Schlag getroffen. Die Adern an seinem Hals traten dick und blau hervor.

»Das war ein Scherz«, sagte sie rasch.

»Das ist nicht witzig!«

In den drei Jahren, die Katharina jetzt bei der Frankfurter Kriminalpolizei arbeitete, hatte sie ihren Chef noch nie so schreien gehört. Er brauchte einen Augenblick, bis er sich wieder beruhigt hatte: »Also? Noch irgendwas?«

»Ich habe noch Pfefferspray. Moment!« Katharina kramte in ihrer Handtasche, bis sich ihre Finger endlich um den gesuchten runden Gegenstand schlossen. Dachte sie zumindest. Doch was sie aus ihrer Tasche zog, war kein Pfefferspray, sondern eine dicke Rolle mit Geldscheinen. Fünfziger und Hunderter. Das mussten mindestens zwanzigtausend Euro sein. Woher hatte sie denn …? Ihr dämmerte es.

»Was ist das für Geld?«

Was sollte sie ihrem Chef erzählen? Besser die Wahrheit: »Das habe ich gestern Nacht beim Pokern gewonnen.«

»Sie haben …« Polanski lief wieder gefährlich rot an. »Stecken Sie es weg. Ich habe das nicht gesehen. Einfach nicht gesehen. Geben Sie’s aus. Lassen Sie das Geld verschwinden. Es darf nirgendwo auftauchen, auf keinem Konto, verstehen Sie?«

Katharina steckte die Geldrolle unschlüssig zurück in ihre Handtasche: »Wieso das denn jetzt schon wieder?«

»Wenn es nun heißt, das ist Bestechungsgeld?«

»Das ist doch absurd.«

»Ich weiß das. Aber die Interne Ermittlung wird das anders sehen. Und illegales Glücksspiel ist auch nicht gerade ein Beförderungsgrund.«

»Was hat das denn mit –?«

»Gar nichts. Oder alles. Katharina, es geht um Ihren Kopf! Hölsung wird alles tun, um Sie angeklagt zu sehen. Und die Interne Ermittlung will ein gnadenloses Exempel statuieren – gerade, weil die in letzter Zeit erfolglos sind.«

»Na, meinetwegen. Wenn Sie mich hier nicht mehr wollen …«

»Verstehen Sie nicht, dass ich Ihnen nur helfen will? Ich verliere gerade zwei gute Beamte anstatt einem. Und das nur, weil Sie Rambo spielen müssen und danach mit der Frankfurter Unterwelt zocken. Wenn das alles an die Öffentlichkeit kommt!«

»So? Ist das Ihre einzige Sorge? Wie das Polizeipräsidium in der Öffentlichkeit dasteht?« Katharina war so schnell aufgesprungen, dass Polanski vor Schreck fast mit seinem Sessel nach hinten umstürzte. Zwar war sie gerade groß genug für den Polizeidienst, aber ihre Schnelligkeit und ihre Kraft glichen den Größennachteil mehr als aus. »Ohne mich müssten Sie jetzt Walpurga Grüngoldt vor der versammelten Presse erklären, warum ihr Sohn bei einer schlecht geplanten Polizeiaktion getötet wurde. Und im Übrigen kann ich jederzeit den Dienst quittieren!«

Sie drehte sich um für einen großen Abgang.

Aber Polanskis Worte hielten sie zurück: »Dann müsste ich Sie jetzt festnehmen.«

»Was?« Katharina wirbelte herum.

»Jetzt beruhigen Sie sich wieder. Das ist genau Ihr Problem, wissen Sie das? Sie sind immerzu zornig. Warum, Katharina?«

»Warum was?«

»Warum sind Sie immer so zornig?«

Katharina zuckte mit den Schultern.

»Setzen Sie sich. Ich bin noch nicht fertig.« Polanskis Ton duldete keinen Widerspruch. Katharina setzte sich auf den vorderen Rand des Stuhls.

Ihr Chef lehnte sich vor: »Sie haben meine Frage nicht beantwortet. Warum sind Sie so zornig? Ich sehe Sie doch jeden Tag: Kaum ist ein Fall gelöst, stürzen Sie sich in den nächsten. Immer auf einem persönlichen Kreuzzug. Warum machen Sie sich kaputt, Katharina?«

Katharina betrachtete ihre Finger. »Ich glaube, das wissen Sie.«

»Ihre Familie?« Die Frage ließ Katharinas Blut aus ihrem Kopf sacken. Der Anruf aus Deutschland. Der Flug. Die Rechtsmedizin. Drei tote Körper auf Stahltischen.

»Glauben Sie mir, Katharina: Wir haben damals jede Spur untersucht. Sie würden nichts finden. Nicht sechzehn Jahre später. Und Sie wissen genau, dass ich Ihnen die Akten nicht geben darf. Sie sind Betroffene. So sind nun mal die Regeln.«

Katharina musterte immer noch ihre Finger. Sie hatte schmale, geschickte Hände. Chirurgenhände. Ärztin hatte sie werden wollen.

»Wie dem auch sei: Sie sind fürs Erste suspendiert. – Hören Sie mir überhaupt zu?«

Katharina nickte unmerklich. »Suspendiert.«

»Allerdings habe ich noch eine unangenehme Aufgabe für Sie. Sie müssen Thomas Henrich identifizieren. Niemand sonst hat Zeit dazu. Und seine Frau möchte ich damit nicht belasten.«

»Meinen Partner identifizieren. Schon klar.« Katharina nickte erneut mechanisch.

»Und am Montag finden Sie sich bitte beim Polizeipsychologen ein!«

Katharina sah auf. »Wozu das denn?«

»Das ist Vorschrift.«

»Wenn ich doch ohnehin gefeuert werde?«

»Katharina, ich versuche hier, Ihren Kopf zu retten. Tun Sie also gefälligst, was ich sage: Montag, acht Uhr dreißig bei Doktor Arnulf Sturmer. Er erwartet Sie.«

Katharina stand auf: »Kann ich dann gehen?«

»Ja.«

Sie hatte die Tür schon fast erreicht, als Polanski sie noch einmal aufhielt: »Ach, noch eines, Katharina.«

Was denn noch? »Ja?«

»Sie sind eine verdammt gute Ermittlerin. Vielleicht die beste, die je in diesem Präsidium gearbeitet hat. Ich will Sie nicht verlieren.«

»Danke!«

»Und es wäre an der Zeit, auch eine gute Polizistin zu werden.«

Katharina zuckte mit den Schultern und griff nach der Türklinke.

»Noch ein letztes Wort, Katharina?« Polanski hatte leise gesprochen. Versöhnlich. Überrascht drehte Katharina sich wieder zu ihm um.

»Die Akte Ihrer Familie: Sie befindet sich hier in meinem Schreibtisch. Und sie bleibt offen, bis wir …« Polanski hielt inne.

»Danke.« Katharina nickte ihm zu und ging endlich hinaus. Leise schloss sie die Tür hinter sich.

Und jetzt?

Sie entschied sich für das Nächstbeste: Schokolade und rohe Gewalt.

 

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Helmut Barz: Westend Blues – Katharina Klein in Schwierigkeiten
Taschenbuch: [D] 15,99 € (ISBN 978-3748569084)
eBook: [D] 3,99 € (ISBN 978-3748568667)

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