Aktionstag Händedesinfektion – Schelte für die Falschen

Am 12. September 2017 veranstaltete die Gewerkschaft ver.di den „Aktionstag Händedesinfektion“ auf Krankenhausstationen in der ganzen Bundesrepublik.

Das erschreckende Ergebnis auf vielen dieser Stationen: Führte das Personal die Händedesinfektion vor und nach jedem Patientenkontakt vorschriftsmäßig durch, kam der Betrieb in Stationen teilweise oder sogar völlig zum Erliegen – es fehlte schlicht an ausreichend Pflegepersonal.

Wohlgemerkt, es ging hier nicht um Bummelstreik oder „Dienst nach Vorschrift“, sondern um die Einhaltung elementarer Hygieneregeln, die im Zweifelsfalle Leben retten sollen. Entsprechend brachen die betroffenen Stationen den Aktionstag dann auch vorzeitig ab.

Doch wem galt dann die Empörung? Nicht etwa den Zuständen und den dafür Verantwortlichen. Allenthalben ereiferte man sich über ver.di und die Frechheit, plakativ den Finger auf die Wunde zu legen.

Meine Schlussfolgerung aus dieser Reaktion: Der Pflegenotstand ist das Thema, das sich zur Grundlage meiner Wahlentscheidung machen werde. (Und nein, ich werde nicht verraten, wen ich wähle.)

 

Pflegenotstand – eine reale, akute, lösbare und langfristige Herausforderung

Der Pflegenotstand ist äußerst real. Das weiß jeder, der in den letzten Jahren einmal Zeit in einem Krankenhaus verbringen musste; jeder, der entweder selber pflegebedürftig ist oder einen Angehörigen pflegen muss, ohne dabei über das notwendige Vermögen oder Einkommen zu verfügen, sich angemessene Pflege einfach kaufen zu können.

Dass aus diesem schon seit langem vor sich hin schwelenden Problem noch kein Flächenbrand geworden ist, ist einzig den vielen Pfleger*innen verdanken, die mit Engagement und unter Einsatz ihrer eigenen Gesundheit dafür sorgen, dass die Patienten versorgt werden – doch oft schon längst nicht mehr optimal, sehr zur Frustration nicht nur der Patienten, sondern auch der Pflegenden. Kein Wunder, dass Burnout in dieser Berufsgruppe keine Seltenheit ist.

Auf dem Papier zumindest ist die Lösung einfach und liegt auf der Hand:

Mehr und besser bezahltes Personal, dem zudem bessere Karrierewege offenstehen.

Das kostet zwar, wäre aber machbar – vorausgesetzt, wir alle weichen zumindest mal beim Thema „Pflege“ vom „Billig, Billig“-Prinzip ab. Denn oft wird auch im privaten Bereich nach dem Preis entschieden und dabei die Tatsache ignoriert, dass Pflege eben eine qualifizierter Beruf ist, der nicht in den Billiglohnbereich der ungelernten Arbeitskräfte gehört.

Mehr Personal, bessere Bezahlung und Aufstiegschance: So würde auch die allgemein beschworene gesellschaftliche Anerkennung der Pflegeberufe steigen.

Liebe Christdemokraten! Nichts sagt so schön „Danke“ wie ein eingemessenes Gehalt und eine sichere Zukunft.

Andere Branchen haben das bereits erkannt: Engagierte und qualifizierte Fachkräfte sind rar – übrigens auch im Pflegebereich –, entsprechend kämpfen die Arbeitgeber engagiert sowie mit innovativen Lösungen und Angeboten um sie. Im Bereich Pflege scheint ein solches Umdenken allenfalls marginal vorhanden zu sein – so zumindest meine Beobachtung. Man korrigiere mich, wenn ich mich irre.

Parteien könnten bei diesem zwar großen, aber dennoch klar umrissenen Thema, das früher oder später den Großteil aller Wähler*innen betreffen wird, Kompetenz an den Tag legen und ihren spezifischen, nachhaltigen Lösungsweg aufzeigen – oder eben nicht. Letzteres ist leider in den meisten Fällen die traurige Realität.

 

Pflegenotstand – ein Indikatorthema

Doch das Thema „Pflegenotstand“ ist nicht nur wichtig, weil es sich dabei um eine konkrete Herausforderung handelt, die es jetzt und nachhaltig zu lösen gilt. Es lässt zudem erkennen, wes Geistes Kind die Parteien und ihre Politiker sind. Wie sehr sind sie bereit, sich für bestimmte gesellschaftliche Gruppen zu engagieren – und zwar mit konkreten Maßnahmen und nicht nur mit Sonntagsreden?

Gesellschaftliche Gruppen? Ich spreche natürlich von den Pflegebedürftigen – die schon per Definition die Schwächsten der Gesellschaft gehören –, die in der aktuellen Debatte wenig vorkommen – was natürlich Bände spricht.

Und ich spreche von allen denen, die sie mit höchstem Engagement und unter Einsatz ihrer persönlichen Gesundheit für die Gesellschaft engagieren – bei oft grottenschlechter Bezahlung: Pflegekräfte, aber auch Polizisten, Feuerwehrleute, Soldaten, Rettungsdienstmitarbeiter …

Menschen also, die ich persönlich zu den wahren Leistungsträgern unserer Gesellschaft zähle – auch wenn dieses Wort leider meist für Leute vorbehalten ist, deren Trageleistung im Schleppen ihrer übervollen Brieftasche besteht.

 

„Aber es muss doch wirtschaftlich sein.“

Dieses Geschrei hört man allenthalben, wenn man mehr Geld für die Pflege fordert.Der freie Markt werde es schon richten. Und Privatisierung sei ohnehin das Allheilmittel – gerade im Gesundheitswesen. Wirklich?

Durch den Profitzwang von Krankenhäusern und Pflegeheimen und durch die gleichzeitig nicht ausreichend bereitstehenden, oder sogar zurückgehenden Mittel erleben wir derzeit eine Spirale des Schreckens: Letztlich wird dann so lange an der Pflege gespart werden, bis so viele Patienten durch mangelnde Betreuung langfristigen Schaden nehmen, dass es dann doch auffällt. Anders lässt sich zum Beispiel die gnadenlose Reduzierung des Nachtpersonals auf oft nur eine Pflegekraft pro Station (manchmal sogar noch weniger) nicht mehr erklären. Und nein, das ist keine Fiktion. Man möge sich nur einmal die Schlagzeilen zu diesem Thema der letzten Monate und Jahre ansehen.

Apropos Wirtschaftlichkeit: Selbstverständlich muss die Lösung solide finanziert und nachhaltig sein. Viele Parteien halten sich bedeckt, sagen höflich nichts-sagend “Danke” oder geben gleich mal den Flüchtlingen die Schuld (die übrigens oft als Lösung für den Personalmangel im Pflegebereich herhalten müssen), ohne einen Ausweg aus der Misere anzubieten. Andere machen konkrete Vorschläge. Ist einer von denen der richtige? Eine Kombination? Ich weiß es ehrlich gesagt nicht. Wie in vielen Fragen gibt es vielleicht auch hier keine absolut gültige Antwort. Aber die Debatte muss sein – und zwar eine Debatte um einen konkreten Lösungsansatz und kein Schaulaufen der Sonntagsreden.

Wer sich übrigens über die Aussagen der aktuell wichtigsten Parteien zum Thema Pflegenotstand informieren will, findet erste Informationen in diesem Artikel des MDR: http://www.mdr.de/nachrichten/politik/inland/btw-nachgefragt-was-tun-gegen-pflegenotstand-100.html

 

Aktuell (zwei Tage vor der Wahl) sind noch Umfragen zufolge noch 40 % der Wähler unentschlossen. Vielleicht hilft dieser Artikel dem einen oder anderen ja, seine Entscheidung zu fällen.

Denn Wählen ist heute vielleicht so wichtig wie nie. Daher: Arsch hoch, eine Entscheidung fällen und ab zum Wahllokal. Es steht sehr viel auf dem Spiel. Unter anderem die Entscheidung, in welcher Gesellschaft wir leben wollen. Auch dafür ist das Thema „Pflegenotstand“ ein guter Indikator.